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Alt 07-09-2005, 20:43   #305
Starlight
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Antithese: Wirkt Katrina als Wirtschaftsmotor?

Eine Woche nach dem verheerenden Hurrikan, der neben Hochwasser und Tod auch wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe gebracht hat, streifen sich die ersten Volkswirte die Trauerbinde ab. Eine Rezession befürchten viele nach ersten Berechnungen nicht mehr, vielleicht habe Katrina sogar einen positiven Effekt.

Eine solch radikale Formulierung ist natürlich gewagt – und moralisch nicht vertretbar. Doch verbirgt sich hinter ihr ein Grundoptimismus, den die Wall Street seit Jahren zur Schau stellt. Immerhin: Während in New Orleans die ersten Pumpen angesprungen sind, die in vielleicht wochenlanger Arbeit die Stadt trockenlegen sollen, und während Hunderttausende Menschen aus ihren Häusern vertrieben sind, Angehörige suchen und sich auf grausige Szenarien in einer von Stadt voller Leichen gefasst machen, legten die US-Börsen zum Wochenbeginn dreistellig zu. Am Mittwoch handeln die Indizes erneut im Plus.

Im Prinzip ist zu hoffen, dass die Vertriebenen aus New Orleans keine Möglichkeit haben, das Treiben am US-Aktienmarkt zu verfolgen – es müsste ihnen als ein Schlag ins Gesicht vorkommen. Doch immerhin kommen auch die Betroffenen langsam zu Geld: Die Regierung hat am Mittwochmittag im Astrodome von Houston begonnen, Geldkarten über 2000 Dollar zu verteilen, mit denen die Opfer von Katrina zumindest Kleidung und Lebensmittel kaufen können. Darüberhinaus sind Versicherungen und Krankenkassen vor Ort und die Betreuung der Opfer verbessert sich stündlich.

Doch zurück zur Wirtschaft und zu einem zumindest auf den ersten Blick schwer nachvollziehbaren Optimismus der Volkswirte. Die anerkennen schlechtes Timing von Katrina, die den Wirtschaftsstandort USA gerade in einer Zeit heimsuchte, als das Wirtschaftswachstum ohnehin langsamer wurde und einige Beobachter schon das böse „R-Wort“ im Mund hatten.

Doch sieht man in Katrina keinen Auslöser für eine Rezession, wie Robert Allsbrook von der AmSouth Bank meint, der die Wirtschaft in den Südstaaten beobachtet. Auch Sherry Cooper vom kanadischen Brokerhaus Nesbitt Burns sieht „wenig Risiko für eine Rezession“, und Economy-com-Experte Mark Zandi sagt ebenfalls: „Es scheint sehr unwahrscheinlich, dass Katrina eine Rezession auslösen könnte.“

Damit widersprechen namhafte Volkswirte den ersten Befürchtungen des Marktes – aber mit gutem Grund: Während sich der Hurrikan negativ auf das dritte und vierte Quartal niederschlagen dürfte, könnte er nach verbreiteter Meinung nämlich ausgerechnet im ersten Halbjahr des nächsten Jahres für Schwung sorgen. Experten hatten vor Katrina befürchtet, dass ab Januar das Wirtschaftswachstum bedenklich zurückgehen werde. Ein Wiedererwachsen der Region um New Orleans könnte diesen Trend umkehren.

Zudem machen die Experten von Standard & Poor’s eine einfache Rechnung auf: Chef-Volkswirt David Wyss glaubt nämlich, dass die gewaltigen Investitionen nach Katrina – immerhin müssen nicht nur Häuser, sondern eine ganze Infrastruktur mit Straßen, Brücken, Dämmen, Strom- und Wassernetzen repariert werden – den Ausfall wirtschaftlicher Aktivitäten direkt nach der Katastrophe wettmachen dürfte.

Zudem weisen einige Experten darauf hin, dass Katrina die Notenbank beeinflussen könnte. Schon seit Tagen debattieren Fed-Kenner darüber, ob Alan Greenspan & Co. beim nächsten Treffen Mitte des Monats die Zinsanhebungen für zumindest einen Monat unterbrechen werden. Niedrigere Zinsen hätten wiederum positive Auswirkungen auf die US-Wirtschaft, vor allem auf den Wachstumssektor Immobilien.

Eine Sorge indes teilen auch die Optimisten unter den Volkswirtschaftlern. Der Verbraucher ist alles andere als stabil. Überschuldet und von hohen Ausgaben für Benzin und Heizöl geplagt wird er eines Tages kollabieren. Das wäre umso schlimmer für das System USA, als es zu zwei Dritteln durch Konsum getragen wird. Entsprechend vorsichtig und mit Vorbehalt formulieren die Experten ihre Prognosen. Die optimistischeren können nur zutreffen, so die vorherrschende Meinung, wenn zumindest die Energiepreise wieder sinken.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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