Ein Lob auf die Buerokratie
Von Dr. Bernd Niquet
Wenn etwas nicht so funktioniert, wie man es gerne haben
will, dann ist es immer angenehm, wenn man einen Schuldigen
ausmachen kann, der mit einem selbst nicht identisch ist. Ein
beliebtes Opfer aller Scheiternden dieser Welt ist die Poli-
tik. Und natuerlich die Buerokratie. Sie eignet sich ganz be-
sonders fuer deutsche Weinerlichkeiten jeglicher Art.
"Mammi, Mammi", schreit da der Unternehmer, so dass es durch
den Wald hindurch im ganzen Land zu hoeren ist, "es schadet
mir gar nichts, wenn mir die Haende frieren. Warum kauft mir
Pappi auch keine Handschuhe." Weinerlichkeit in Verbindung
mit Masochismus - und anschliessend geschuettelt mit etwas
Weltverschwoerung und einer Prise vermeintlich gesundem Men-
schenverstand. Das ist der Cocktail, der uns Deutschen am
besten mundet. Klarer Fall natuerlich, dass wir diesen Cock-
tail heimlich zu uns nehmen, also heimliche Trinker sind.
Denn so etwas wuerden wir niemals zugeben.
Die Welt hat sich durch die Globalisierung in den letzten
zehn, fuenfzehn Jahren vollkommen veraendert, doch die Schul-
digen sind fuer uns die Gleichen geblieben. Bleiben wir bei
der Wirtschaft: Die Politik, einst so maechtig, nationale
Waehrungs-, Wachstums- oder Beschaeftigungspolitiken durchzu-
fuehren, ist von der Regentschaft der globalen Maerkte voll-
ends entmachtet worden. Und trotzdem wird ihr die Schuld
hierfuer zugewiesen. (Was natuerlich durchaus folgerichtig
ist, da von den frueheren Allmachtstraeumen kein Abstand ge-
nommen wurde. Das allerdings relativiert diesen gleich dop-
pelten Irrtum keineswegs.)
Und die Buerokratie? Sie ist von jeher die Verkoerperung
eines verhassten Obrigkeitsdenkens. Doch seitdem es keine
Obrigkeiten mehr gibt, seitdem das Normalniveau der Welt-
maerkte und Welt-Finanzmaerkte unsere Geschicke lenkt,
muesste es da nicht auch ein Umdenken geben? Davon ist aller-
dings weit und breit nichts zu sehen. Alle schimpfen genauso
wie vorher auf die Buerokratie. Der einzige Unterschied ist,
dass sie heute zusaetzlich noch auf die Globalisierung
schimpfen. Doch ist das eigentlich konsistent, wenn wir uns
bei der Bedienung des Restaurants beschweren, dass die Suppe,
die wir gerade essen, eigentlich viel zu salzig ist, an man-
chen Stellen hingegen zu wenig gewuerzt?
Im Brockhaus ist die Buerokratie als Verwaltungsform defi-
niert, "... die durch eine hierarchische Befehlsgliederung
(Instanzenweg), durch klar abgegrenzte Aufgabenstellungen,
Befehlsgewalten, Zustaendigkeiten und Kompetenzen ... sowie
durch genaue und lueckenlose Aktenfuehrung saemtlicher Vor-
gaenge gekennzeichnet ist." Ist das nicht wunderbar? Ein Hort
der Stabilitaet und Ordnung in einer voellig chaotisch gewor-
denen und von der Dynamik des Zauberbesens zerfetzten Welt!
Doch es ist ja alles nicht bezahlbar, so hoert man immer wie-
der. Die Buerokratie frisst das Geld auf, was wir anderswo so
dringend brauchen. Wer so etwas sagt, ist jedoch selbst noch
nicht angekommen im Heute, schliesslich wissen wir heute,
dass alle Kosten spiegelbildlich auch Einkommen sind. Natuer-
lich gibt es ueberall auch Auswuechse. Doch sind die Aus-
wuechse der Maerkte nicht viel schlimmer als diejenigen der
Buerokratie? Dieses taegliche Trommelgewitter an Werbebot-
schaften, zu hohen Lohnkosten, Marktpreisen, staendiger Er-
reichbarkeit und voelligem Orientierungsverlust. Welche Hoff-
nung dagegen in einer verstaubten Amtsstube!
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Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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