TBB Family
Registriert seit: Jan 2004
Ort: Bayern
Beiträge: 10.026
|
Mentalitaetsunterschiede - oder: Nilpferd auf Nilpferd
Von Dr. Bernd Niquet
Es ist nicht leicht, das alles auf die Reihe zu bekommen.
Einerseits waechst die Welt immer schneller zusammen, wird
alles in quantitativen Groessen vergleichbar gemacht und in
Kategorien wie Einkommen, Konsum und Ersparnis auf einen
Nenner gezwungen. Andererseits sind die Unterschiede, die
sich hinter dieser Fassade verbergen, so gross wie eh und je
und damit beinahe unueberwindlich.
Eben noch lese ich auf der Internetseite des Manager-Magazins
einen sehr instruktiven Bericht "Die USA im Shopping Fieber".
Es geht um ein Paar in einem 300-Quadratmeter-Haus, zusammen
mit Sohn und Dackel. Sie sitzen auf der Terrasse mit Heiz-
strahlern gegen die Abendkuehle und elektrisch verstellbaren
Blenden gegen die Mittagssonne. Die Frau nennt Shopping als
ihr Hobby. Beide halten Konsum fuer eine patriotische Pflicht
und haben sich nach dem Anschlag auf das World Trade Center
einen Tennisplatz gebaut und ein neues Auto bestellt, um die
amerikanische Wirtschaft zu unterstuetzen.
Ich weiss nicht, ob man das glauben kann, doch die Kehrseite
dieser Medaille ist auf jeden Fall, dass beinahe jegliches
Vermoegen hoch kreditbelastet ist. Es gibt zwar eine positive
Nettoposition des Vermoegens gegenueber den Schulden, doch es
fragt sich, wie - und zu welchem Preis - diese im Altersfall
einmal zu liquidieren ist, um davon den Lebensunterhalt zu
bestreiten. Allgemein ausgedrueckt: Ist der Konsum der Gott,
dann bleibt nichts (anderes) mehr uebrig. Denn du sollst
keine anderen Goetter haben neben mir - so heisst es doch.
Etwas angewidert wende ich mich ab. Sind wir vermeintlich so
verqueren Deutschen da nicht irgendwie klueger? Und ueber-
legen? Geht es uns nicht um ganz andere Werte, ja um Werte
ueberhaupt? Auf jeden Fall: Eine Welt, in der sich alles nur
um den Konsum dreht, das kann nicht unsere Welt sein.
Mit diesen Gedanken im Kopf gehe ich mit meiner Tochter in
den Berliner Zoo. Vor dem Nilpferdhaus steht ein grosses aus
Bronze gegossenes Nilpferd, das an vielen Stellen bereits
blankgescheuert ist von den Schuhen und Hosenboeden der dar-
auf wild herumkletternden Kindern. Beachten Sie an dieser
Stelle bitte die Metapher: Das Geschehen an den Weltmaerkte
und die wild herumturnenden Kinder. Alles ist einerseits
voellig chaotisch, andererseits trotzdem geordnet - eine
riesige, sich stets wandelnde spontane Ordnung.
An diesem Tag ist jedoch alles anders. Eine ziemlich dicke
Frau hat drei Kinder auf dem Nilpferd platziert und will sie
nun in aller Ruhe fotografieren. Mit bemerkenswerter Gemuets-
ruhe gibt sie Regieanweisungen, die Kinder moegen doch bitte
versetzt sitzen, damit man jedes von ihnen besser sehen kann.
Zudem sollten nicht so dumme Gesichter gemacht werden. Als
das alles verwirklicht scheint, greift sie langsam zu ihrem
Fotoapparat. Ich stelle mir unweigerlich vor, die Frau waere
das weibliche Pendant zu Loriots Dr. Mueller-Luedenscheid und
erklaere dem genervten Sozialarbeiter, dass sie mit dem, was
er ihr anbietet, nun wirklich nicht ihren Beduerfnissen ent-
sprechend leben koenne, weshalb man doch in aller Ruhe einmal
konstatieren muesse, dass die Gesellschaft in dieser Hinsicht
voellig versagt habe.
Mittlerweile haben sich neben dem Nilpferd mehrere Gruppen
mit vielen Kindern angesammelt, die ebenfalls das Nilpferd
erklimmen wollen. Aus Taktgefuehl werden diese Kinder jedoch
zurueck gehalten. Als die Frau nunmehr allerdings ankuendigt,
dass jetzt noch Einzelfotos von jedem der drei Kinder ge-
schossen werden, platzt einem Vater der Kragen und er gestat-
tet seinen Kindern, ebenfalls das Nilpferd zu erklimmen. An-
schliessend zueckt auch er seinen Fotoapparat.
Die dicke Frau kann in diesem Moment die Welt nicht mehr ver-
stehen. So etwas hat sie noch niemals erlebt - nicht einmal
von einem aufmuepfigen Mitarbeiter des Sozialamts. Das nor-
male Chaos dieser Welt soll ihre Kreise stoeren? Nein, das
kann nicht sein, das darf nicht sein. Schnell entscheidet sie
sich, was nun zu tun ist. Ihre Maxime lautet: Wenn ich nicht
bekommen darf, was ich will, dann sollen die anderen es auch
nicht haben. Spricht es und wuchtet den uebergewichtigen
Koerper ohne Ruecksicht auf den Verlust von Kinderhaenden,
die sich am Nilpferd festhalten, um nicht herunter zu fallen,
auf den Koloss hinauf.
Nun thront das eine Nilpferd auf dem anderen und verkuendet
lauthals: So, jetzt koennt ihr schoene Fotos machen! Wissend,
dass jeder Mensch, der seinen Verstand und vor allem seine
Aesthetik noch nicht voellig verloren hat, Abstand von seinem
Unterfangen nehmen wird. Denn der Preis eines Fotos ist jetzt
schlichtweg zu hoch, da dieses Monstrum dann ebenfalls darauf
verewigt wird. In diesem Moment erscheint - ploetzlich und
wie von Geisterhand gezeichnet - ueber dem Kopf der dicken
Frau eine Sprechblase, auf der alle Umherstehenden in Gross-
buchstaben lesen koennen: WENN ICH ES NICHT HABEN KANN, DANN
SOLLT IHR ES AUCH NICHT HABEN.
Entsetzt hebt daraufhin der Vater seine Kinder vom Nilpferd
und wendet sich ab. Wir verlassen ebenfalls den Ort des Ge-
schehens. Einige Umstehende applaudieren der Frau. Endlich
hat es wieder einmal jemand der Welt gezeigt. Ich drehe mich
noch einmal um, sehe die beiden Nilpferde aufeinander und
muss unwillkuerlich lachen. Dabei ist mir eigentlich gar
nicht zum Lachen zu Mute. Die Amis mag ich nicht, aber jetzt
habe ich den Eindruck, dem typisch Deutschen mitten ins Ant-
litz gesehen zu haben. Es wird langsam Abend, doch es ist
noch hochsommerlich warm. Mich hingegen froestelt es.
++++++
Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
__________________
Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
|