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Alt 17-08-2005, 21:14   #287
Starlight
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Ein Wal-Mart-Kuriosum: Sittenwächter verkauft Alkohol

Tanken wird immer teurer. Das ist ein alter Hut. Doch Ausnahmen bestätigen die Regeln, und so wird bei Wal-Mart das Tanken billiger, wenngleich der Einzelhändler weniger ans Auto, als an den Fahrer denkt. Eine Allianz mit Diageo soll dem Branchenriesen einen neuen Sektor erschließen – gegen alle moralischen Bedenken.

Von einem unternehmerischen Standpunkt betrachtet macht die Zusammenarbeit durchaus Sinn. Wal-Mart ist der größte Einzelhändler in den USA und versorgt so viele Kunden wie kein anderer, und zwar vor allem mit Lebensmitteln. Diageo hingegen ist der größte Spirituosenhändler der USA, der Marken wie Johnnie Walker und Smirnoff Vodka vertreibt, und der seine Ware über Wal-Mart einem breiteren Publikum anpreisen kann denn je zuvor.

Während Diageo auf ein Umsatzplus bauen kann, sprechen die jüngsten Statistiken aus der Branche auch für Wal-Mart. In den letzten beiden Jahren wuchsen US-weit die Umsätze mit Spirituosen deutlich stärker als die Umsätze mit Bier und Wein. Und die Zahlen, die Wal-Mart in einigen Testmärkten bereits seit dem Jahr 2000 ermittelt hat, sprechen ohnehin eine klare Sprache: Danach haben die Alkoholumsätze um 154 Prozent zugelegt, was nur noch der Sektor frischer Lebensmittel mit 170 Prozent übertrifft. Während letzterer allerdings 2004 für einen Umsatz von 15,1 Milliarden Dollar sorgte, steuerte Alkohol gerade mal 1 Milliarde Dollar bei – da ist Potenzial vorhanden.

Die Aussichten auf starke Zahlen lassen das Wal-Mart-Management ausnahmsweise auch die sonst so moralische Rolle des Konzerns vergessen. Die hatte sich zuletzt darin widergespiegelt, dass der Einzelhändler Zeitschriften mit anzüglichen Titelbildern ebenso aus dem Regal nahm wie CDs mit missliebigen Texten.

Dass sich Wal-Mart also eines Tages US-weit auf den Alkoholverkauf einlassen würde, galt bislang als undenkbar. Umso schockierter sind nun die kleineren Liquor-Stores, denen bald das gleiche Schicksal blühen könnte wie zuvor den Buch- und Musikhändlern, Sportgeschäften und anderen spezialisierten Einzelhändlern. Die verdrängte Wal-Mart oft binnen weniger Monate vom lokalen Markt, da sie mit der Preispolitik des Branchenriesen nicht mithalten konnten. Dass das auch beim „Booze“ so sein wird, zeigen erste Preisbeispiele: In einem Wal-Mart in Missouri gibt es Johnny Walker Black Label und Cognac Hennesy für jeweils unter 29 Dollar, im kleinen Alkohollädchen neben an kosten die selben Flaschen jeweils 35 Dollar.

Was sich indes nach einem leichten Spiel für Wal-Mart anhört, dürfte die komplizierteste Erweiterung der Produktpalette werden, die man sich je aufgeladen hat. Denn Alkohol zu verkaufen ist nicht so einfach wie der Handel mit Bananen, Turnschuhen und Unterhemden. So dürfen Supermärkte überhaupt nur in 24 US-Staaten Alkohol im Regal nehmen, und nur in 17 Staaten macht der Erwerb einer Lizenz wirtschaftlich Sinn, wie Experten meinen. Hinzu kommen die vielen Schikanen, die Wal-Mart von einzelnen Staaten und teilweise auch vom Management selbst auferlegt werden.

So darf Alkohol nicht wie andere Ware rund um die Uhr, sondern nur zu bestimmten Zeiten verkauft werden. Die Regale, in denen Diageos Stoff lagert, müssen so täglich für mehrere Stunden abgesperrt werden, was das Einkauferlebnis vieler Kunden stören könnte. Zudem müssen Einzelhändler Alkohol von Großhändlern kaufen und dürfen laut Gesetz nicht direkt mit dem Hersteller verhandeln. Dabei ist der Großhändler üblicherweise der Zwischenmann, den Wal-Mart ausschaltet, um seine Preisvorteile zu erreichen.

Dazu kommt, dass Wal-Mart selbst ein alkoholfreier Arbeitgeber ist und auf dem Gelände des Unternehmens weder Bier noch Wein noch Whiskey konsumiert werden dürfen. Das dürfte es nicht zuletzt den Einkäufern schwerer machen, die Ware der Zulieferer zu testen, denn solche Tests samt anschließender Verhandlungen finden traditionell in der Konzernzentrale in Bentonville im Staate Arkansas statt. Ach ja, Benton County rund um die Wal-Mart-Zentrale, ist ein „trockener Landkreis“, indem sowieso kein Alkohol verkauft werden darf.

Das alles wird Wal-Mart nicht davon abhalten, künftig Alkohol in die Regale zu stellen – interessanterweise sogar Getränke, die es bislang nicht einmal gab. Denn wenn Wal-Mart mit seiner breiten Kundenbasis „aus dem Herzen Amerikas“ eines kennt, dann den Willen der Verbraucher. Die seien ganz heiß auf „Dulce-con-leche“-Eiskrem, verriet Wal-Mart vor einigen Monaten dem neuen Partner Diageo. Man solle doch ein Mixgetränk auf der Basis des Karamell-ähnlichen Geschmacks erfinden. Gesagt, getan – „Dulseda“ verkaufte sich in ersten Tests gut und soll exklusiv bei Wal-Mart zu kaufen sein.

Ob das die ganz moralischen Kunden stört, auf deren Bedürfnisse Wal-Mart bislang so gebaut hat, bleibt abzuwarten. Es ist aber durchaus wahrscheinlich, dass der Einzelhändler diese Frage recht kühl betrachtet. Immerhin findet sich das moral-fanatischste Publikum im ländlichen bis sehr ländlichen Bereich. Und da ist Wal-Mart weitenteils Monopolist.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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