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Alt 12-08-2005, 21:16   #284
Starlight
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Zuviel Werbung für einen Fuß

Werbung tut weh, jedenfalls wenn einem die fast 500 Seiten starke „Vanity Fair“ auf den Fuß fällt, wie mir gestern am Flughafen. Geschätzte 300 Seiten in dem Mode- und Reportageblatt promoten Klamotten und anderen Kommerz, dem Magazin scheint es gut zu gehen. Am Freitag beschäftigt Werbung indes nicht nur meinen Fuß, sondern auch die Wall Street.

Gleich zwei Unternehmen melden zum Wochenschluss eigenartiges aus dem PR-Department. Da wäre zunächst der Einzelhändler Target. Dessen Name spiegelt sich im Unternehmenslogo wider, einer rot-weißen Zielscheibe. Doch so gezielt wie sonst will man in der letzten August-Woche nicht werben, vielmehr feuert Target eine Breitseite auf den Verbraucher ab, interessanterweise auf den intellektuellen.

Das hoch angesehene Magazin „New Yorker“ nämlich wird in seiner Ausgabe vom 22. August außschließlich Target-Anzeigen drucken – der Einzelhändler und größte Wal-Mart-Konkurrent ersetzt sogar die regelmäßig geschalteten kleinen Anzeigen von Restaurants und lokalen Dienstleistern, die sich gewöhnlich im hinteren Teil des Heftes drängen.

Dass Abonnenten des „New Yorker“ von so viel Werbung für einen einzigen Konzern abgeschreckt werden, ist nicht zu befürchten. Immerhin ist die Kampagne genau auf die kunst- und kulturinteressierte Leserschaft abgestimmt: Die 17 bis 18 ganzseitigen Anzeigen wurden von ebensovielen Künstlern entworfen, die sich nur an wenige Auflagen halten mussten und weitgehend der Fantasie freien Lauf lassen konnten: Allein ein Bezug zu New York war gewünscht, die Verwendung des Target-Logos, sowie des gemeinsamen Erscheinungsbildes wegen die ausschließliche Verwendung der Farben rot, weiß und schwarz.

Prominente Zeicher wie Milton Glaser, Robert Risko und Ruben Toledo haben sich der Herausforderung gestellt. Zu den Motiven gehören ein auf Manhattan gerichteter Target-Schuh in Anlehnung an die Brooklyn-Bridge, ein Dog-Walker oder ein überdimensionales Ring-Werfen, bei dem die Target-Scheiben über stilisierte Wolkenkratzer downtown fliegen.

Es ist davon auszugehen, dass der „New Yorker“ erstmals in seiner 80-jährigen Geschichte Kunden findet, die das Blatt wegen der Werbung kaufen, immerhin sind solcherlei Sonderausgaben stets beliebte Sammlerstücke. Insofern ist die Kampagne auch eher als Image- denn als Direktkampagne zu verstehen. Schließlich betreibt die Kette noch nicht einmal einen Laden in Manhattan, lediglich in Brooklyn, Queens und der Bronx gibt es fünf Filialen und weitere im Einzugsbereich von New Jersey und Long Island.

Während Target durch seine Aktion mehr Aufmerksamkeit erregen will, strebt man anscheinend bei Pfizer das Gegenteil an. Der Pharma-Gigant will seine Werbung entschärfen und sachlicher gestalten, vor allem für den wichtigsten Umsatzbringer Viagra. Zwei Gründe werden am Freitag angeführt: In Zeiten immer schärferer Jugendschutzbestimmungen will man ein Erektionsmittel nicht allzu publik anpreisen, und zudem plane die FDA eine genauere Überwachung der Branchenwerbung.

Die sei nämlich in vielen Fällen irreführend, wie die Zulassungsbehörde regelmäßig anmerkt. Pharmazeuten priesen ihre Produkte zu reißerisch an und hielten Nebenwirkungen zurück, obwohl die Ausweisung solcher Begleiterscheinungen strikt vorgeschrieben ist.

Was ganz aus dem Pfizer-Konzept verschwinden soll – und nach Verbraucherprotesten wohl bald aus anderen Pharma-Werbungen – ist der Hinweis: „Fragen Sie Ihren Arzt nach…“. Häufig ist dieser Satz in amerikanischen Spots der Gipfel einer Heile-Welt-Bildfolge, in der die zu behandelnde Krankheit gar nicht angesprochen wird. Dass die FDA eine solche Werbung nach ihrer aktuellen Einsichtnahme in die Problematik vermutlich ohnehin verboten hätte, mindert Pfizers Aktionismus nicht. Im Gegenteil: Der Pharmazeut geht einen Schritt weiter und will künftig Aufklärungs-Sports senden, die Verbrauchern von überhöhtem Medikamentenverbrauch – vor allem bei Krankheiten wie Depressionen – abraten.

Meinem werbe-geplagten Fuß indes hilft das nicht, auch rechtfertigt der blaue Zeh noch keine Schmerztablette. Als Reaktion auf mein Missgeschick wäre höchstens noch wünschenswert, dass irgendein zuständiger Branchenverband die erlaubte Werbe-Menge einschränkt, so dass auch Mode-orientierte Magazine wieder unter drei Pfund ausgeliefert werden können.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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