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Alt 08-08-2005, 20:59   #279
Starlight
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Sparen bleibt "Out"

Jede Medaille hat zwei Seiten. Und manchmal lässt sich eine besser präsentieren als die andere. Beim Wohlstand des durchschnittlichen Amerikaners ist das zum Beispiel so. Der Ami hat nämlich, einerseits, zur Zeit so viel Geld auf der Seite wie nie zuvor – allerdings spart er auch, andererseits, so wenig wie nie zuvor.

Das mag paradox klingen, ist aber dem Immobilienmarkt zu verdanken, dessen explosives Wertwachstum in den letzten Jahren dafür gesorgt hat, dass der durchschnittliche amerikanische Haushalt ein Vermögen von mehr als 400 000 Dollar hat. So weit die gute Nachricht.

Wesentlich schlechter ist aber, dass viele Hausbesitzer mit dem unerwartet hohen Vermögen nicht umgehen können. Immer mehr scheinen ihre Häuser als überdimensionale Bankomaten zu betrachten, aus denen sich beliebig Geld ziehen lässt. Noch nie zuvor haben Hausbesitzer so viele und so hohe Hypotheken auf ihre Häuser gehalten, ausgegeben wird das plötzlich liquide Vermögen für Konsum.

Dabei hat mancher längst den Überblick verloren. „Die steigenden Häuserpreise spielen manchen Leuten vor, sie wären reich und müssten jetzt nicht mehr sparen“, meint Lakshman Achuthan vom Economic Cycle Research Institute. Den Beweis für genau diese Lesart brachte jüngst das Wirtschaftsministerium: Man hat für den Juni eine Sparrate von 0,0 Prozent ermittelt.

So etwas kommt nicht oft vor. Eine Sparrate von 0,0 Prozent gab es überhaupt erst einmal, seit die Statistik vor fast fünfzig Jahren aufgenommen wurde. Auf das Jahr gerechnet kommt das Wirtschaftsministerium auf eine Rate von 1,8 Prozent, was wiederum der niedrigste Stand seit 1934 ist, als Amerika in der Großen Depression steckte.

Doch damit nicht genug: Streng genommen beträgt die Sparrate der Amerikaner nämlich nicht einmal 0,0 Prozent. Die Statistik basiert nämlich auf den Einnahmen, wobei nicht liquide Einnahmen – wie zum Beispiel Einzahlungen in Rentensparpläne – mitgezählt werden. Die stehen aber nicht wirklich zur Verfügung, womit der durchschnittliche US-Verbraucher zur Zeit sogar etwas mehr ausgibt als er verdient.

Der jüngste Anstieg bei den Bestellungen langlebiger Güter rechtfertigt die gefährliche Tendenz übrigens nicht. Zwar haben die Amerikaner in den vergangenen Wochen so viele Autos gekauft wie nie. Doch hatte das Wirtschaftsministerium bereits vor Einführung der umsatzsteigernden Mitarbeiter-Rabatte eine Sparrate von gerade einmal 0,4 Prozent gemessen. Damit würden pro 100 verdienten Dollar gerade einmal 40 Cent gespart.

Diese niedrigen Raten machen Volkswirtschaftlern Sorgen. Sicher, kurzfristig kurbelt der Konsum die Wirtschaft an – egal, woher das Geld kommt. Langfristig aber wird das Spiel nicht aufgehen. Vor einer „gefährlichen Situation“ warnt Dean Baker , Direktor beim Center for Economic and Policy Research. „Die Wirtschaft hängt davon ab, dass die Leute weiter wie verrückt kaufen. Wenn jeder diesen Text lesen und danach zu sparen anfangen würde, würden wir eine Rezession rutschen.“

Dabei braucht es noch nicht einmal eine große Welle des Umdenkens, um eine Krise auszulösen. Allein stagnierende oder langfristig wieder fallende Hauspreise könnten den Verbraucher gehörig unter Druck setzen. Wenn zudem in den nächsten Jahren die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen und die Abzüge aus den Kassen größer werden, wird sich die Statistik zudem verschieben. Einzahlungen in die Kassen zählen nämlich mit zum Einkommen, Bezüge hingegen nicht. Negative Sparraten dürften damit bald zum Alltag gehören.


Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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