Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 07-08-2005, 17:03   #93
621Paul
TBB Family
 
Benutzerbild von 621Paul
 
Registriert seit: Jan 2004
Ort: Bayern
Beiträge: 10.026
Was eigentlich erforderlich waere

Von Dr. Bernd Niquet

Nehmen wir einmal an, wir haben eine Flasche mit Apfel- und
eine mit Birnensaft. Der Birnensaft kostet die Produktions-
kosten plus den Gewinnaufschlag - und der Apfelsaft zusaetz-
lich noch eine Steuer von 30 Prozent, Krankenkassenbeitraege
fuer die Apfelpfluecker, Altersabsicherung fuer die Apfel-
baeume sowie eine Nicht-Herunterfallpraemie fuer die einzel-
nen Aepfel. Es ist nicht schwer zu erraten, wie es auf den
Maerkten fuer Apfel- und Birnensaft aussehen wuerde. Es wird
bald kaum noch Apfelsaft geben, der Birnensaft hingegen wird
unsere Muender nur so fluten.

Die gleiche Situation finden wir auf den Maerkten unserer Re-
publik wieder. Es gibt zwei wichtige Produktionsfaktoren, die
gleichzeitig die Quellen unseres gesamten Einkommens sind -
naemlich Arbeit und Kapital. Waehrend die Arbeit mit hohen
Steuern und Sozialabgaben belastet ist, ist das Kapital von
Sozialabgaben sowieso befreit und steuerlich entweder voellig
von jeder Abgabenpflicht freigestellt oder in extremer Weise
subventioniert.

Kann sich angesichts dieser Situation eigentlich noch jemand
wundern, dass das Kapital ueberall im Ueberfluss vorhanden
ist und derzeit selbst die letzte Anlage-Nische mit dickem
Strom ueberschwemmt, wohingegen die Arbeitsplaetze immer wei-
ter verschwinden? Eigentlich kann sich da niemand wundern.
Und trotzdem scheinen sich alle zu wundern, was das wirkliche
Wunder der aktuellen Gegenwart ausmacht.

Ein gerechtes und effizientes Steuersystem verlangt eine Be-
steuerung nach dem Reinvermoegenszugangsprinzip. Das heisst:
Alle Vermoegenszuwaechse, sei es durch Einkommen oder durch
realisierte Gewinne auf Vermoegen, sind zu besteuern - und
zwar in gleicher Hoehe. Davon sind wir gegenwaertig aller-
dings weiter entfernt als das Raumschiff Discovery von der
Erde. Die aktuelle Situation ist vielmehr: Diejenigen, die
vom Arbeitseinkommen leben, werden geknebelt und ausgepluen-
dert wie die Sklaven. Und diejenigen, die ueber Vermoegens-
einkuenfte verfuegen, werden hofiert wie die Feudalherren.

Arbeitseinkommen werden belastet mit voller Einkommensteuer,
Sozialabgaben, Krankenkassenbeitraegen. Und wer als Arbeit-
geber auftritt, zahlt zusaetzlich noch IHK-Beitraege, Gewer-
besteuer und diverse sonstige Abgaben. Wer hingegen sein Ver-
moegen einsetzt, der bleibt bei realisierten Kursgewinnen
nach einen Jahr voellig steuerfrei. Dividenden werden nur mit
dem halben Satz besteuert, und kommt die Union an die Regie-
rung, wird es bei den Zinsen eine aehnliche maue Regelung ge-
ben. Vor allem: Hier ist nichts an die Gemeinschaft zu ent-
richten, keine Sozialbeitraege, keine Krankenkassenbeitraege,
nix. Das lastet man alles der Arbeit auf.

Wir subventionieren also das Kapital und bestrafen die Ar-
beit. So koennen keine Arbeitsplaetze entstehen. Was eigent-
lich erforderlich waere, ist, die Steuer und die Abgaben auf
Arbeit radikal zu senken - und gleichzeitig das Kapital (zu
den dann gemaessigten Saetzen) voll zu besteuern und sozial-
abgabenpflichtig zu machen. Ich hoere natuerlich sofort den
Aufschrei. Das Kapital wuerde fluechten, unsere private Al-
tersversorgung behindert ... Doch sind die Punkte stichhal-
tig? Tatsache ist, dass eine private Altersvorsorge nur aus
versteuertem Einkommen gespeist werden kann. Gibt es keine
Jobs und wird das Einkommen weitgehend weggesteuert, dann
bleibt ueberhaupt nichts uebrig, um es zurueckzulegen. Alle
Kapitalsubventionierung fliesst somit denjenigen zu, die
ohnehin schon ueber ein gutes Vermoegen verfuegen. Die gegen-
waertige Regelung bevorzugt diejenigen, deren Alter bereits
abgesichert ist und behindert diejenigen, die dies erst noch
machen muessen. Das kann nicht so weiter gehen.

Und die Kapitalflucht? Die Auslaender, die den Kapitalmarkt
hierzulande bereits dominieren, treffen diese Regelungen
ohnehin nicht. Und die anderen? Die grossen Vermoegenden? Die
reden doch dauernd von der Sanierung unseres Landes. Da wer-
den sie sich doch nicht verweigern koennen, die Loehne wieder
bezahlbar zu machen.

++++++

Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
__________________
Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
621Paul ist offline   Mit Zitat antworten