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Alt 25-07-2005, 21:10   #267
Starlight
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Sommer in Schilda

Seit Jahren tun sich die Amerikaner schwer mit Energie sparenden Konzepten. Doch endlich tut sich was. Allerdings setzt sich die Bush-Regierung nicht etwa plötzlich für Recycling ein, für Windenergie oder für sparsamere Autos. Vielmehr will man ab 2007 die Sommerzeit verlängern, was aber letztlich ein Schildbürgerstreich sein könnte.

Die eigentliche Idee, die Abgeordnete beider Parteien in einen Gesetzentwurf verwandelt haben, ist gar nicht schlecht. Durch das alljährliche Vorstellen der Uhren im Frühling wird es morgens später hell und abends später dunkel. Ersteres hat auf die ohnehin schlafenden Menschen kaum Auswirkungen, letzteres aber sehr wohl. Das leuchtet ein und ist ja die Grundidee der Sommerzeit, die auf Benjamin Franklin zurückgeht, aber erst im Ersten Weltkrieg in die Tat umgesetzt wurde.

Während es seinerzeit darum ging, den Soldaten zum Kämpfen mehr Tageslicht zu geben, soll nun ganz einfach Energie gespart werden. Dank des länger anhaltenden Sonnenscheins müssen schließlich weniger Lampen eingeschaltet werden. Bis zu 100 000 Fass Öl könnten die USA täglich sparen, hat das Energieministerium ermittelt. Andere Studien gehen davon aus, dass an jedem Tag mit Sommerzeit der Energieverbrauch in den Staaten um 1 Prozent sinkt, oder dass die jetzt zur Debatte stehende Verlängerung der Sommerzeit um drei Wochen im Frühjahr und um eine Woche im Herbst insgesamt 1 Prozent des gesamten jährlichen Energiebedarfs einsparen soll.

Doch da mögen sich die Experten verrechnet haben. Vor allem einen Aspekt habe man nämlich übersehen, werfen Gegner der Initiative auf. Wo die Amerikaner nämlich wegen des längeren Sonnenscheins Energie in Glühbirnen sparen, dürften sie genau so viel – oder noch mehr – mit ihren Klimaanlagen verschwenden. Schließlich bedeutet mehr Licht auch mehr Wärme, und damit steigt der Kühl-Bedarf in Haushalten und Unternehmen.

Auch andere positive Aspekte der Sommerzeit lassen sich wegrechnen. So zeigen Studien des Verkehrsministeriums, dass „mehr Licht“ täglich etwa 2000 Verkehrsunfälle mit 50 Toten verhindern und bis zu 28 Millionen Dollar an Folgekosten sparen könne. Andererseits zeigen Studien von Sommerzeit-Gegnern, dass das zweimalige Umstellen der Uhr jeweils mit einer plötzlich und kurzfristig steigenden Unfallzahl einhergehe, dass manche Menschen durch geringen Schlafentzug traumatisiert würden, und dass die Produktivität im Land unter müden Arbeitern leide.

Während also einige unbeachtete Nachteile die bekannten Vorteile der Sommerzeit überschatten könnten, gibt es einige bekannte Nachteile, denen nicht einmal Vorteile gegenüberstehen. Die Fluggesellschaften beispielsweise finden es ohnehin zweimal im Jahr schwierig, ihre internationalen Flugpläne mit Europa abzustimmen, wo die Uhren eine Woche früher umgestellt werden. Die transatlantische Diskrepanz noch einmal um vier Wochen jährlich auszuweiten, dürfte die Branche viel Geld kosten.

Auch um Schulkinder macht man sich Sorgen. Die nämlich gehören zu den wenigen Menschen, die morgens sehr früh raus und zeitweise im Dunkeln auf den Schulbus warten müssen.

Bei so vielen Nachteilen wird es die entscheidungsfreudigen Abgeordneten in Washington freuen, dass zumindest eine Branche ihren Segen erteilt hat, deren Zustimmung zunächst nicht als sicher galt: die Landwirtschaft. Während sich nämlich mancher Sorgen machte, ob die neu geregelte Zeitumstellung Bauern eher nützen oder schaden würde, meint das Landwirtschaftsministerium knapp: „Kühe geben alle zwölf Stunden Milch, egal wie spät es ist. Und den Hühnern haben wir bis heute noch nicht beigebracht, überhaupt auf die Uhr zu schauen.“


Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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