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Alt 20-07-2005, 20:41   #264
Starlight
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Ein „Non-Event“ mit Greenspan
Es ist kein Wunder, dass George W. Bush seinen Fed-Chef noch eine Weile behalten möchte. Schon Monate vor dem offiziellen Ende von Alan Greenspans Amtszeit kursieren Gerüchte, wonach Bush die Ernennung eines Nachfolgers verschieben könnte – es wäre der einzige Weg, Greenspan noch in Washington zu halten.

Bush mag seinen Fed-Chef vor allem aus einem Grund: Er ist linientreu. Das ist zwar nicht unbedingt die definierte Aufgabe Greenspans, doch allem Anschein nach hat sich der führende Zinspolitiker dafür entschieden, auf seine alten Tage einen bequemeren Weg zu gehen als ständig an der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung herumzumäkeln.

Dafür gäbe es zwar durchaus den ein oder anderen Grund, doch hält sich Greenspan seit einiger Zeit mit kritischen Gedanken zurück und hängt den Optimisten raus. Glaubwürdig ist das nicht immer. Der demokratische Abgeordnete Barney Franks aus Massachussetts beispielsweise versuchte Greenspan nach dessen Rede vor dem Kongress auf einen Missstand in der US-Konjunktur festzunageln: den Arbeitsmarkt. Der zeichne sich zwar jüngst durch recht gute Zahlen aus, doch hänge eine sinkende Arbeitslosenquote vor allem damit zusammen, dass immer mehr Langzeitarbeitslose aus der Statistik fallen.

Was der Abgeordnete Franks da vorbrachte, ist allgemein bekannt, passt aber ganz und gar nicht ins Bild einer sich stetig erholenden Konjunktur, das man in der Hauptstadt verbreitet. Entsprechend wich Greenspan der Frage aus und versuchte auch auf dreimaliges Nachhaken von Franks, über das amerikanische Schul- und Ausbildungssystem zu dozieren, das schließlich für Nachschub in den Pool der Arbeitssuchenden zuständig sei.

Im Weißen Haus wird man mit Freude vernommen haben, wie Greenspan Frank auflaufen ließ und sich nicht über die Problematik am Arbeitsmarkt äußerte. Auch wird man gerne gehört haben, dass Greenspan den Immobilienmarkt in den USA zwar als überhitzt bezeichnet, dass er aber durchaus glaubt, dass die Konjunktur einen Einbruch in dem Segment verkraften würde. Das sehen längst nicht alle Experten so. Im Gegenteil: Immer mehr Volkswirtschaftler warnen davor, dass sich zahlreiche Amerikaner übernommen haben, und dass langfristig Hunderttausende ihre nach abenteuerlichen Konditionen berechneten Raten nicht mehr abzahlen können.

Was Greenspan dem Kongress am Mittwoch in einem seiner letzten Auftritte sagte, war wieder einmal wenig. Dass sie Konjunktur gut zulege, hat man an der Wall Street schon gehört. Dass die Inflation unter Kontrolle sei, ist auch ein alter Hut, nach den letzten Zahlen zu Erzeuger- und Verbraucherpreisen sowieso. Dass die Fed die Zinsen weiter schrittweise anheben wird, ist auch klar.

Greenspans Auftritt war einmal mehr, was die Wall Street einen „Non-Event“ nennt, ein Ereignis also, auf dass Experten seit Tagen gewartet haben und das man sich doch hätte schenken können. Für Präsident Bush ist das genug. Greenspan hält die Linie, mehr soll er nicht tun.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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