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Alt 13-07-2005, 20:51   #260
Starlight
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Der „bizarre“ Fall Ebbers

„Völlig bizarr“ findet Bernie Ebbers, was in den letzten drei Jahren über ihn eingebrochen und am Mittwochmorgen in New York zu Ende gegangen ist. Der einst gefeierte CEO des Telekomriesen WorldCom ist zu einer Haftstrafe von 25 Jahren verurteilt worden. Für den fast 65-Jährigen kommt das einer lebenslangen Strafe gleich.

„Völlig bizarr“ finden indes nur wenige Prozessbeobachter, was da mit Ebbers geschehen ist. Immerhin steht der einstige Musterjunge der Wall Street hinter dem größten Bilanzbetrug in der Geschichte von Corporate America. Hinter der 21-Milliarden-Pleite seines Unternehmens steht selbst Enron zurück. Doch von vorne:

Ebbers Karriere begann 1992 mit der Gründung eines Ferngesprächsanbieters, aus dem drei Jahre später WorldCom wurde. Weitere zwei Jahre später wurde MCI übernommen, eine geplante Akquisition von Sprint verhinderten die Kartellbehörden. Dennoch wuchs WorldCom so schnell wie kaum ein Unternehmen in der ohnehin explosiven zweiten Hälfte der Neunzigerjahre. 1999 notierte die Telekom-Aktie auf einem Allzeit-Hoch von 64,50 Dollar.

Dann kam die Jahrtausendwende, dann der Einbruch der Aktienmärkte und für WorldCom war der Erfolg so schnell vorbei wie er gekommen war. Im Sommer 2001 kündigte das Unternehmen die ersten 6000 Entlassungen an, ein Jahr später sollten weitere 17 000 Mitarbeiter gehen. Im Juni 2002 notierte die WorldCom-Aktie unter 1 Dollar, CEO Bernie Ebbers trat zurück und die Börsenaufsicht SEC reichte eine Betrugsklage ein. Wenige Tage später, im Juli 2002, meldete WorldCom mit einem Schuldenberg von 21 Milliarden Dollar Konkurs an.

Auf dem Weg ins Aus verloren Zehntausende von Mitarbeitern nicht nur ihren Job, sondern ihre gesamte Rentenersparnisse, weitere Opfer gab es an der Wall Street. Die ehemaligen Mitarbeiter sind am Mittwoch froh, Ebbers auf dem Weg ins Gefängnis zu sehen. „Es ist Zeit geworden, dass Bernie für seine Fehler zur Verantwortung gezogen wird“, urteilt Robert Hudspeth, ein ehemaliger Manager unter Ebbers. Und auch Henry Bruen, der vor Gericht mehrfach als Stimme der ehemaligen Angestellten aufgetreten war, meint: „Bernie Ebbers und Scott Sullivan haben meine Karriere ruiniert.“ Bruen, einer der Top-Verkäufer bei WorldCom hat noch immer keinen Job, sein ehemaliger Finanzchef Sullivan ist längst schuldig gesprochen worden und wird sein Strafmaß Anfang August erfahren.

„Völlig bizarr“ findet Ebbers dennoch, was er in jüngster Zeit durchmachen musste. Geäußert hat er das zuletzt am Dienstag auf seinem Flug nach New York, den er bizarrerweise in der Touristenklasse absitzen musste. Statt dem üblichen Erste-Klasse-Dinner knabberte Ebbers an Kartoffelchips und Schokoladenrosinen – und beklagte sein Schicksal. Das sieht unter anderem vor, dass auch Ebbers Familie künftig nicht auf das ergaunerte Vermögen des Ex-Börsenstars zurückgreifen kann. Mehr als 45 Millionen Dollar musste Ebbers zur teilweisen Beilegung zahlreicher Zivilklagen abdrücken, seiner Frau bleiben ein kleines Haus im Bundesstaat Mississippi – die größere Residenz ist auch weg – und 50 000 Dollar.

„Bizarr“ auch, dass das New Yorker Gericht vieles nicht berücksichtigen wollte, was Ebbers eine Strafmilderung hätte einbringen sollen. Chef-Verteidiger Reid Weingarten verweist darauf, dass der Prozess eigentlich in Mississippi hätte stattfinden sollen – eine lokale Geschworenen-Jury hat erst vor kurzem den ehemaligen HealthSouth-CEO Richard Scrushy freigesprochen, nachdem man persönliche Gefühle gegenüber dem praktizierenden Christen höher eingestuft hatte als stapelweise Beweise über seinen Milliarden-Betrug.

Auch, so Weingarten, habe das Gericht nicht berücksichtigt, dass Ebbers einst viel Geld an wohltätige Zwecke gespendet und außerdem 169 Freunde gefunden habe, die in der Woche vor der Verkündigung des Strafmaßes Bittbriefe an das Gericht geschickt hatten. Auch Ebbers’ Alter und seine angeschlagene Gesundheit hätte die Verteidigung gerne berücksichtigt gesehen.

Ebbers mit bescheidenen 64 Jahren und einem schwachen Herzen hingegen eine milde Strafe zuzusprechen wäre angesichts seiner Taten wirklich „bizarr“ gewesen.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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