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Alt 01-07-2005, 21:15   #251
Starlight
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Patrioten an Grill und Börse

Mit grünen Pfeilen beginnt die Wall Street das zweite Halbjahr, doch kann es auch gut sein, dass die gute Laune auf dem Parkett gar nicht von den rosigen Aussichten her rührt. Im Gegenteil: Nach einer schwachen ersten Halbzeit freut sich die Wall Street auf ein langes Wochenende um den Unabhängigkeitstag am 4. Juli.

Für die patriotischen Amerikaner ist der 4. Juli einer der höchsten Feiertage überhaupt, gemessen an den Familienaktivitäten ist eigentlich nur Thanksgiving Ende November noch wichtiger – das liegt an den religiösen Wurzeln des Landes. Wie Thanksgiving ist auch der 4. Juli ein Tag, den die Amerikaner gerne mit Familie und Freunden verbringen, und das hat durchaus wirtschaftliche Folgen.

Der AAA, das amerikanische Pendant zum ADAC, erwartet, dass an diesem Wochenende mehr als 40 Millionen Amerikaner mehr als 80 Kilometer zurücklegen werden. Zu größeren Strecken ist an diesem verkehrsreichsten Wochenende in der Geschichte der USA auch nicht zu raten – die Autobahnen werden hoffnungslos verstopft sein, an den Flughäfen ist mit langen Schlangen und Verspätungen zu rechnen.

Das drückt die Feierlaune nicht, sehr zur Freude der Industrie: Während vor allem Feuerwerks-Hersteller am 4. Juli ihren wichtigsten Tag haben – an Silvester wird in den USA nicht geknallt – sieht auch manch andere Branche die Umsätze steigen. Die Textilhersteller beispielsweise drucken im Sommer besonders patriotische Mode. Hemden und Hosen mit Flaggenaufdruck finden reißenden Absatz. Der Einzelhandelsverband NRF sagt, das 51,8 Prozent der Amerikaner bereits rot-weiß-blaue Klamotten im Schrank haben, bis zu 24,2 Millionen Amerikaner dürften zudem in den letzten Tagen nachgekauft haben.

Der Einzelhandel gehört somit, wie bei jedem großen Festtag, zu den Hauptgewinnern. Und über satte Umsätze freuen sich auch Lebensmittelhersteller wie Kroger und ConAgra, deren Hot Dogs, Steaks und Burger am Wochenende auf hunderttausenden von Grillrosten brutzeln werden.

Für Aktionäre dürfte es dennoch nicht leicht sein, speziell am 4. Juli mitzuverdienen. Die großen Unternehmen, die von der Kauflust der Patrioten profitieren, reflektieren noch so viele andere Marktereignisse, dass der Unabhängigkeitstag wieder in den Hintergrund der Bilanz gedrängt wird.

Wer trotzdem etwas für die Volksseele tun will, der kann sich bei Brent Wilsey schlau machen. Der Finanzmanager von Wildey Asset Management hat ein „Patriotic Portfolio“ aufgestellt, das indes eher Vaterlandsliebe als Investorenverstand reflektiert. Denn recht einfach sind Wilsey Kriterien: Im Portfolio finden sich zum einen amerikanische Legenden wie Walt Disney und Wal-Mart, die beide seit Jahren mehr Probleme als Chancen haben und dem Markt schon lange hinterherlaufen.

Zum anderen nennt Wilsey Unternehmen, in denen das Wort „American“ vorkommt. Doch gilt wirklichen Experten die American International Group trotz eines günstigen Einstiegspreises und starker Quartalszahlen nicht gerade als bombensichere Anlage. Immerhin muss der Dow-notierte Versicherer einen Milliardenbetrug verarbeiten, zudem sind die Fundamentaldaten des Konzerns schwer zu durchschauen.

Bleibt American Eagles Outfitters, ein an der Nasdaq notierter Teenie-Ausstatter. Dessen Aktie wiederum gilt schon lange als heißer Tip – zu lange aber, als dass ein Einstieg aus purem Patriotismus zum jetzigen Zeitpunkt noch ratsam wäre. Allein im letzten Jahr hat sich das Papier auf 30 Dollar verdoppelt. Ob der Verkauf von Klamotten mit Flaggen-Aufdruck das notwendige Wachstum bringt, um diesen Trend zu halten, ist fraglich.

So sollte man den 4. Juli vielleicht einfach nehmen als was er ist: Ein Feiertag, ein Grilltag im Hochsommer. Die Börse bleibt geschlossen, diese Kolumne auch. Am Dienstag, 5. Juli, geht das Geschäft weiter.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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