Der Bau-Boom zieht die Amerikaner auf’s Land
Die Daten zur US-Konjunktur fallen seit Monaten äußerst volatil aus, und längst haben sich die Berufsoptimisten auf einen einzigen Sektor eingeschossen, der mit jeder Zahl auf’s Neue glänzt: der Bau-Sektor. Für die meisten Experten an der Wall Street ist dessen Stärke allerdings abstrakt. Neue Häuser entstehen nämlich nicht in der Finanzmetropole New York und anderen Großstädten, sondern auf dem Land.
So ist es unwahrscheinlich, dass der Spezialist, der tagsüber noch die Papiere von Häuslebauern wie Toll Brothers oder Lennar Corp. gehandelt hat, auf dem Heimweg allzu viele Baustellen passiert. Auch der Branchenanalyst, der täglich über den Bau-Boom schreibt, wird zuhause in New York oder im benachbarten Connecticut höchstwahrscheinlich kein Neubaugebiet wachsen sehen.
Die Amerikaner, so zeigen jüngste Zahlen des Statistik-Amtes in Washington, zieht es nämlich aus den Millionenstädten hinaus in ruhigere Gegenden – und in wärmere Gefilde. Die schnellst wachsenden Städte bilden zwei Cluster auf der US-Landkarte. In den Top Ten der Orte mit den höchsten Zuwanderungsraten stehen mit Port St. Lucie, Cape Coral und Miramar drei Gemeinden aus dem Sonnenstaat Florida. Die Einwohnerzahl von Port St. Lucie hat in den vergangenen zwölf Monaten um 12 Prozent zugelegt – Rekord im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Die übrigen sieben Orte in den Top Ten liegen in Arizona, Nevada und Kalifornien und tragen Bilderbuchnamen wie Elk Grove, Moreno Valley oder Rancho Cucamonga.
Oder Gilbert. Das verhältnismäßig kleine Städtchen in Arizona ist in den letzten vier Jahren von 112 000 auf 156 000 Einwohner gewachsen. Das entspricht einem Wachstum um satte 42 Prozent oder tausend Neuzugängen pro Monat.
Interessanterweise schließen die Statistiker der Regierung in ihrer Ursachenforschung einen Faktor aus, der üblicherweise gerade im Südwesten eine Rolle spielt: Immigration. In und um Gilbert sind es nämlich keineswegs Einwanderer, die Häuser bauen. Vielmehr sind es die zahlreichen Amerikaner, die vor den Hintergrund niedriger Hypothekenzinsen den viel beschworenen Bau-Boom tragen, die aber in den Großstädten keine attraktiven Wohnverhältnisse und erst recht keine relevanten Wertsteigerungsprognosen mehr finden.
Vor allem letzterer Aspekt hat dazu geführt, dass die Metropolen unter Branchenexperten längst an Attraktivität und Bedeutung verloren haben. Sicher, in der Finanz- und Kulturstadt New York steigen die Preise immer noch. Doch stagniert der Markt im Vergleich zu anderen Regionen. Und die Einwohnerzahlen von Boston, Los Angeles und San Francisco sind sogar rückläufig, ebenso wie die Daten der ehemaligen Industriezentren Detroit, Pittsburgh und Cincinnati.
Letztere, so der Demograph Robert Lang von der Virginia Tech Universität in Alexandria, seien wohlgemerkt schon seit Jahrzehnten strukturbedingt auf dem absteigenden Ast. Die noch vor recht kurzer Zeit boomenden Zentren in Neu-England oder Kalifornien hingegen litten unter den überhöhten Preisen. Ein Blick auf die Preisstruktur im Immobilienland USA bestätigt das: Während ein durchschnittlicher Neubau in Gilbert, Arizona, rund 220 000 Dollar kostet, blättert der Bauherr in Boston schon 387 000 Dollar und in San Francisco gar 641 000 Dollar hin.
„Die Leute wollen mehr Haus für ihr Geld“, fasst der Statistiker William Frey vom Brookings-Institut in Washington zusammen. Und für Städte wie Gilbert und Miramar heißt das nicht nur, dass die Häuser größer und preisgünstiger gebaut werden, sondern dass auch die Rahmenbedingungen verbessert werden. Die Wachstumszentren – die Städte in der genannten Top Ten kommen auf Zuwachsraten zwischen 5 und 12 Prozent – verbessern laufend ihre Infrastruktur. Miramar, beispielsweise, hat gerade sein neues Verwaltungshaus bezogen, man arbeitet an einem Kulturzentrum mit großem Auditorium und neuen Geschäftspassagen.
© Wall Street Correspondents Inc.
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