Sonntag, den 26.06.2005
Asymmetrische Regelungen
Von Dr. Bernd Niquet
Natuerlich ist es voellig uebertrieben und viel zu einfach,
wenn jetzt von allen Seiten auf die Hedge-Fonds eingepruegelt
wird. Doch die Hedge-Fonds stehen fuer eine ganz spezifische
Geisteshaltung und fuer sehr extremes Verhalten, so dass sie
sich durchaus als Vehikel fuer eine generelle Kritik eignen.
Betrachtet man unsere Volkswirtschaften sowie das internatio-
nale Finanzsystem, dann kann man eine eigenartige Regelstruk-
tur feststellen. Die Regeln und Regulierungen sind extrem
asymmetrisch verteilt - und dazu noch voellig umgedreht zu
einem eigentlich wuenschenswerten System.
Machen wir einmal den Vergleich mit einem Kindergarten, dann
sieht man es am besten. Und so weit hergeholt ist das ja gar
nicht. Hier existieren feste Regeln, was die Kinder duerfen
und was nicht. Diese Regeln sind starr - und sie befinden
sich auf der obersten Ebene. Es geht dabei um ganz elementare
Dinge, um das Verhaeltnis zu den Erziehern und um Meta-Regeln
fuer das Verhalten der Kinder untereinander. Was die Kinder
dann jedoch im Kleinen machen, das ist voellig frei. Hier
mischt sich normalerweise niemand mehr ein.
In unserem Wirtschafts- und Finanzsystem hingegen ist es ge-
nau umgekehrt. Hier wird der einzelne Buerger und das ein-
zelne Unternehmen regelrecht zugeschuettet mit Regeln, die es
zu befolgen gibt. Doch ganz oben, also auf der Meta-Ebene,
auf der Ebene, in der es um das Ganze geht, gibt es hingegen
ueberhaupt keine Regeln. Selbst Alan Greenspan hat das vor
kurzem angesprochen. Die Risiken, die hier eingegangen wer-
den, sind zu gross. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Und
es werden Herdentriebe in Gang gesetzt, die mit den wirt-
schaftlichen Gegebenheiten selbst nichts mehr zu tun haben.
Die normale Aufgabe der Maerkte ist es, Informationen bereit-
zustellen ueber die Gegenwart und die Zukunft, die wir ohne
diese Maerkte niemals haben koennten. Daher brauchen wir die
Maerkte, denn sie liefern die Signale, mit denen Marktwirt-
schaften gesteuert werden. Funktionieren kann dies jedoch
nur, wenn einzelne Marktteilnehmer oder auch Gruppen von
Marktteilnehmern keinen signifikanten Einfluss auf die Preis-
bildung haben. Wenn also jeder "Preisnehmer" ist, der die
Preise akzeptiert - und danach sein Angebot und seine Nach-
frage mengenmaessig ausrichtet.
Tritt jedoch andauernd ein Herdenverhalten auf, indem grosse
Interessengruppen immer noch mehr kleine Spieler anlocken, um
durch das Starten eines Trends Geld zu verdienen, dann ver-
liert das System seine Steuerungsfunktion. Und es kann rich-
tig bedrohlich werden fuer das Gesamtsystem, wenn einer oder
mehrere Reiter auf einem derartigen Trend einmal in Not gera-
ten. Doch es ist alles erlaubt hier, alles was gefaellt.
Wir haben es daher mit einer voellig "schiefen" Regelungslage
zu tun. Wenn ich mich selbstaendig machen und einen Arbeit-
nehmer einstellen moechte, dann muss ich bis zur Frage, wie
viele Rollen ein Buerostuhl haben muss, Tausende von Regelun-
gen beachten. Da das kaum jemand kann und will, gibt es immer
weniger neue Selbstaendige. Moechte ich hingegen den Oelpreis
in die Hoehe treiben, den Euro in den Keller schicken, ein
Unternehmen abstrafen oder eine Zentralbankpolitik konter-
karieren, dann habe ich jede Freiheit der Welt dazu.
Doch so kann unsere Welt auf Dauer nicht funktionieren. Wir
muessen gleichzeitig den einen Regelungswust abbauen und da-
fuer in anderen Bereichen anfangen, Grenzen zu setzen. Das
muss man bei den Kindern auch. Ansonsten tanzen sie einem auf
der Nase herum.
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Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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