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Alt 16-06-2005, 20:46   #238
Starlight
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Die Kreditfalle am Immobilenmarkt

Es ist bekanntlich nicht leicht, aus den regelmäßigen Auftritten von Alan Greenspan konkrete Hinweise auf konjunkturelle Risiken zu filtern. Dafür drückt sich der Fed-Chef viel zu vage aus. In seiner jüngsten Rede vor dem Kongress findet sich jedoch eine Warnung ausgerechnet mit Blick auf den Immobilien-Sektor, der seit Monaten mitverantwortlich für die allgemein gute Stimmung an der Börse ist.

Greenspan – im allgemeinen sehr auf Seiten der Bush-Regierung – warnte in der vergangenen Woche vor einer bevorstehenden Krise im Immobilien- und Hypothekenbereich, die sein Chef im Weißen Haus noch vor einem halben Jahr gänzlich leugnete. Zugegeben, damals war Wahlkampf. In mehreren Auftritten lobte George W. Bush seinerzeit den neuen Trend am Immobilienmarkt, in dem Amerika immer mehr zu einer Eigentümer-Gesellschaft werde. „Noch nie besaßen so viele Amerikaner ihr eigenes Haus wie heute“, freute sich Bush.

Dabei verschwieg der Präsident freilich ein unter Experten wohl bekanntes Detail: Noch nie gehörte nämlich dem durchschnittlichen Hausbesitzer ein so kleiner Anteil an seinem Haus wie heute. Eine einmalige Kombination von niedrigen Zinsen und steigenden Immobilienpreisen machte den Häuserkauf zuletzt nämlich immer mehr Amerikanern schmackhaft, nicht zuletzt denen, die vielleicht besser weiterhin zur Miete gewohnt hätten.

Das plötzlich aufflammende Interesse am Immobilienmarkt führte zu einem Phänomen, das die New York Times eine höchst gefährliche „Billionen-Dollar-Wette“ nennt. Zur Erklärung: Auf die neue Lust am Eigenheim reagierten die Hypothekenbanken mit kreativen Kredit-Modellen, über die viele Kunden Häuser finanzieren konnten, die weit außerhalb deren wirklicher finanzieller Reichweite lagen. Die Kunden waren dabei stets die letzten, die das beunruhigte, wie Eric Appelbaum von der Apple Mortgage Corporation in New York erklärt: „Viele Leute sagen uns, sie hätten sich ihr Haus nicht leisten können, gäbe es nicht die Nur-Zins-Modelle. Das ist eigentlich absurd.“

Absurd – und gefährlich. Denn Kreditnehmer übernehmen sich mit Hypotheken, deren Raten für „nur Zins“ sie sich leisten können. Das geht über zwei oder drei Jahre gut. Danach aber schlägt die Gläubigerbank die Abzahlung des Darlehens drauf, und die durchschnittliche Monatsrate für einen 300 000 Dollar schweren Kredit klettert von 1250 Dollar auf satte 2100 Dollar. Manche Familie dürfte mit diesem Aufschlag um fast 70 Prozent zu kämpfen haben.

Im vergangenen Jahr waren die Nur-Zins-Modelle die gefragtesten Hypotheken in Amerika. In diesem Jahr machen sie noch 40 Prozent aus, während ein neues Modell immer wichtiger wird, dessen Fachbezeichnung „option-ARM“ nur Experten erklären und sicherlich nicht alle Kreditnehmer verstehen können.

Beim „option-ARM“ sind die Zinszahlungen für die ersten fünf Jahre auf ein Minimum von 1,25 Prozent festgelegt. Das ist weniger als ein Viertel der zur Zeit marktüblichen 5,25 Prozent, die Kunden für einen 30-jährigen Kredit mit festgelegten Raten zahlen. Nach Ablauf der fünf Jahre allerdings steigt die monatliche Rate dramatisch an, der Kunde zahlt einen vorher nicht festgelegten Zinssatz, der sich am – bis dahin wohl weiter gestiegenen – Leitzins anlehnt.

Bis zu 40 Prozent aller Hypotheken über 360 000 Dollar sind in diesem Jahr „option-ARM“, hat die UBS berechnet. Die Analysten wissen auch, dass sich 70 Prozent der Kreditnehmer jeden Monat für die Rückzahlung des Mindestbetrages entscheiden, obwohl höhere Zahlungen erlaubt und langfristig günstiger sind. Robert Binette, Mortgagehändler bei Hamilton Mortgage im US-Bundesstaat Connecticut, hat die Folgen berechnet: Wer einen Kredit über 400 000 Dollar in den ersten fünf Jahren mit Mindestzahlungen abstottert, erhöht in dieser Zeit seine Schulden auf 427 000 Dollar. Dazu kommt, dass die monatliche Rate nach fünf Jahren von 1718 Dollar auf 2580 Dollar steigt. Auch dieser Sprung um mehr als 50 Prozent birgt Risiken für den Hausbesitzer.

Allgemein betrachtet liegen die Risiken im Übergang von einem günstiegen Einstiegstarif zu den langfristigen Monatsraten. Entsprechend der Bewegungen am Häsuermarkt sind in diesem Jahr Kredite im Wert von 80 Milliarden Dollar davon betroffen, wie die Deutsche Bank berechnet hat. Im nächsten Jahr werden es 300 Milliarden Dollar sein und 2007 – daher der Hinweis der New York Times auf die „Billionen-Dollar-Wette“ – wechseln Kredite im Wert von 1 Billion Dollar zu höheren Raten.

Dennoch dürften die neuen Zinsmodelle für Immobilien-Spekulanten durchaus rentabel sein, wie sich Experten einig sind. Wer nur ein paar Jahre lang in einem eigenen Haus wohnt und die Immobilie mit Gewinn verkauft, profitiert von niedrigen Raten. Die Mehrheit der Amerikaner ist das aber nicht. Die plant vielmehr langfristig und ist sich der Risiken weitgehend nicht bewusst.

Die wirtschaftlichen Konsequenzen sind allerdings klar: Wenn der Verbraucher an unerwartet hohen Zinszahlungen zu tragen hat, dürften die Konsumausgaben in anderen Bereichen weiter einbrechen. Die Credit Suisse First Boston geht nicht davon aus, dass die riskanten Kreditmodelle den Verbraucher langfristig in eine Rezession stürzen können. Aber man hat berechnet, dass auf amerikanische Familien bereits in den nächsten zwei Jahren eine Mehrbelastung von 40 Milliarden Dollar zukommen dürfte. Das entspräche in etwa einem Benzin-Aufpreis von 40 Cent. Und die Auswirkungen eines solchen hat man in den vergangenen Monaten gesehen, der Einzelhandel kann ein Lied davon singen.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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