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Alt 13-06-2005, 20:20   #235
Starlight
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Purcell geht, doch der Schaden ist angerichtet

Es ist ja bekannt, das hochrangige Manager grundsätzlich nie gefeuert werden. Selbst in tiefsten Führungskrisen und unter ärgstem Beschuss ist es stets ein freiwilliger Abschied, den Vorstand und Aufsichtsrat bedauernd akzeptieren. Auch bei Morgan Stanley ist das am Montag so, wo CEO Phil Purcell – völlig unaufgefordert – seinen Hut nimmt.

Die Wall Street hat auf diesen Schritt längst gewartet, die Aktionäre sowieso. Deren Papiere haben nämlich in den letzten drei Monaten fast 20 Prozent an Wert verloren, da Purcells umstrittener Führungsstil immer mehr prominente Top-Manager, Händler und andere vielversprechende Talente aus dem Unternehmen und in die Arme der Konkurrenz getrieben haben.

Nun haben die Aktien der Konkurrenz in einem allgemein schwächelnden Marktumfeld in den letzten Wochen zwar auch nicht überzeugt. Doch notiert Lehman Brothers immerhin mit einem leichten Gewinn, Bear Stearns, Goldman Sachs und Merrill Lynch haben deutlich weniger an Wert eingebüßt als das krisengeschüttelte Traditionshaus Morgan Stanley.

Doch in dieser Woche dürfte die Kluft zwischen den Unternehmen noch einmal tiefer werden. Sämtliche großen Investmenthäuser werden in den nächsten Tagen Quartalszahlen vorlegen. Morgan Stanley hat bereits gewarnt: Der Gewinn dürfte um 10 bis 15 Prozent unter dem 1,10 Dollar pro Aktie aus dem Vorquartal liegen – die bisher prognostizierten 1,12 Dollar pro Aktie werden also deutlich verfehlt.

Anleger und Analysten, wie beispielsweise bei der Bank of America, freuen sich nun über Phil Purcells Abschied, doch ist eine rasche Trendwende für die Aktie unwahrscheinlich. Einerseits bleibt der ungeliebte CEO noch im Amt bis ein Nachfolger gefunden wird, was sich längstenfalls bis zur Jahreshauptversammlung im nächsten März hinauszögern könnte. Andererseits sind dem Unternehmen schon derart viele Spitzenkräfte abhanden gekommen, dass Anleger von einem bleibenden Schaden ausgehen können.

Der Abschied von zwölf hochrangigen Mitarbeitern am vergangenen Freitag – den Quellen innerhalb der Firma als letzten Faktor für Purcells Ausscheiden verantwortlich machen – belegt das so deutlich wie kaum eine Personalie in den Wochen zuvor. Acht Derivate-Experten zog es zum Konkurrenten Wachovia, was für Morgan Stanley umso schmerzhafter ist als Purcell den Derivate-Handel erst vor kurzem noch als eine der wichtigsten Stützen für die Zukunft des Unternehmens genannt hat.

Auch der Verlust der Banking-Legende Joseph Perella, der als einer der wichtigsten Experten für Merger-Beratungen gilt, dürfte Morgan Stanley lange schmerzen, ebenso die Personallücken im Energiesektor oder der unerwartete Abschied von Vikram Pandit, dem führenden Experten für institutionelle Wertpapiere.

Doppelt schlimm für das Unternehmen ist, dass sich sämtliche Experten nicht etwa von der Börse verabschiedet oder mit kleinen Läden selbstständig gemacht haben, sondern dass sie ausnahmslos auf der Gehaltsliste von Konkurrenten stehen. Außer Wachovia haben sich in den letzten Wochen auch die Dow-notierten Banken Citigroup und J.P. Morgan, der Versicherer American International Group und die UBS mit Talenten – und Kontakten – aus dem Pool von Morgan Stanley verstärkt.

Mancher der Abtrünnigen wurde in den ersten Minuten nach der Meldung über Purcells Abgang übrigens als potenzieller Nachfolger diskutiert, doch an all diesen Überlegungen scheint nichts dran zu sein. Abgesehen davon, dass für die nun bei der Konkurrenz fürstlich bezahlten Experten ein Rückgang auf das schlingernde MWD-Schiff wohl nicht interessant ist, erteilt Vorstandsmitglied Charles Knight solchen Spekulationen auch gleich eine Absage. Der Chef des Gehaltsausschusses, der gemeinsam mit dem prominenten Headhunter Tom Neff einen Purcell-Nachfolger suchen soll, will sich ausschließlich außerhalb des Unternehmens umsehen. Nur so, meint Knight, könne ein dringend notwendiger Neuanfang geschafft werden.

Soviel Einsicht und Konsequenz gefällt den Anlegern. Die Aktie von Morgan Stanley verbessert sich im Montagshandel – trotz der absehbaren Langzeitschäden – um satte 4 Prozent.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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