Woher kommt die Arbeitslosigkeit ?
Von Dr. Bernd Niquet
Es gibt gerade in der heutigen Zeit viele Banalitaeten. Doch
irgendwo hoert die Plattheit dann auch auf. Es ist nicht
alles so, wie es auf den ersten Blick erscheint. Auch wenn
die Medien uns das immer wieder versichern. Manche Dinge sind
einfach komplizierter als der durchschnittliche Zeitungs-
redakteur sie fassen kann.
Woher kommt die Arbeitslosigkeit? Wo entscheidet sich die
Hoehe unserer Beschaeftigung? In einer Marktwirtschaft werden
alle Preise und Mengen auf Maerkten ermittelt. Der Preis fuer
Tomaten und die Menge an Tomaten, die wir essen, ergeben sich
auf dem Markt fuer Tomaten. Oder hoeher gefasst, auf dem
Gemuesemarkt, auf dem Guetermarkt. Wo bestimmen sich die
Menge und der Preis des Geldes? Genau, auf dem Geldmarkt. Und
der Aktien und Festverzinslichen? An der Boerse, also auf dem
Markt fuer Vermoegenstitel, dem Vermoegensmarkt.
Doch wo entsteht die Arbeitslosigkeit? Guido Westerwelle
sagt, auf dem Arbeitsmarkt. Angela Merkel sagt, auf dem
Arbeitsmarkt. Edmund Stoiber sagt, sagt, auf dem Arbeits-
markt. Gerhard Schroeder sagt, auf dem Arbeitsmarkt. Peter
Hartz sagt, auf dem Arbeitsmarkt. Die Welt schreibt: Auf dem
Arbeitsmarkt! Die FAZ schreibt: Auf dem Arbeitsmarkt! Der
Spiegel schreibt: Auf dem Arbeitsmarkt! Die Wirtschaftsweisen
sagen: Auf dem Arbeitsmarkt! Der Sachverstaendigenrat sagt:
Auf dem Arbeitsmarkt!
Also: Wer will dem etwas entgegensetzen? Und wenn die
Arbeitslosigkeit tatsaechlich auf dem Arbeitsmarkt entsteht,
dann muss sie auch dort bekaempft werden, muss man schlies-
sen. Wir muessen also nur unseren Arbeitsmarkt kraeftig libe-
ralisieren, dann werden wir bald eine bessere Beschaeftigung
haben.
Der Oekonom John Maynard Keynes hat das bereits in den Dreis-
siger Jahren des letzten Jahrhunderts als Unsinn entlarvt.
Erstaunlich, dass niemand davon mehr Kenntnis nimmt. Nicht
nur erstaunlich ist das, sondern tragisch. Denn wer aus der
Geschichte nicht lernt, ist gezwungen, sie zu wiederholen.
Keynes ist heutzutage trivialisiert wie beinahe alles in
unserer Gesellschaft. Dabei hat Keynes schon damals klar und
deutlich gesagt: Arbeitslosigkeit entsteht NICHT auf dem
Arbeitsmarkt. Im Grunde genommen ist diese Ueberlegung recht
einfach, umso erstaunlicher, dass sie niemand begreift oder
begreifen will:
Die Unternehmen richten ihre Arbeitsnachfrage nach drei
Groessen aus - dem Reallohn, der Absatzerwartung und den
Finanzierungsbedingungen fuer Investitionen. Und von diesen
drei Groessen hat nur eine halbe etwas mit dem Arbeitsmarkt
zu tun, naemlich der Nominallohn. Der Reallohn ist bereits
ein Marktergebnis, das sich aus dem Zusammenspiel diverser
Maerkte ergibt. Es muss also nicht ein zu hoher Nominallohn
die Schuld an einer zu geringen Arbeitsnachfrage tragen. Es
kann auch ein zu niedriges Preisniveau sein. Oder zu
schlechte Absatzbedingungen und zu unguenstige Finanzierungs-
bedingungen sein.
Die relevante Frage der Gegenwart sollte daher nicht lauten,
wie man die (nominalen) Lohnkosten herunter bekommt, sondern
warum es den Unternehmen anscheinend nicht gelingt, gewinn-
traechtige Preise fuer ihre Produkte durchzusetzen und dabei
diejenigen Mengen abzusetzen, die weitere Investitionen loh-
nend machen wuerden. Dieser Kontext hat allerdings sehr viel
mit den internationalen Gueter- und Vermoegensmaerkten und
ueberhaupt nichts mit unserem heimischen Arbeitsmarkt zu tun.
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Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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