Montag, 06.065.05
Die Herrschaft der Betriebswirte
Die Volkswirtschaftstheorie ist ein komplexes Gebilde, das für die meisten Menschen schlichtweg zu kompliziert ist. Dass die Arbeitslosigkeit nicht auf dem Arbeitsmarkt entsteht, sondern aufgrund einer komplexen Verflechtung von Güter- und Vermögensmärkten, ist nicht nur für den durchschnittlichen Zeitungsredakteur ebenso unfassbar wie Einsteins Relativitätstheorie.
Viel einfacher ist es daher, sich einer Hilfswissenschaft zu bedienen. Ein paar locker-flockige Theoreme heraus zu rotzen – und sich wie ein König zu fühlen. Aus diesem Grunde gibt es weltweit die Herrschaft der Betriebswirte. Denn Betriebwirt kann jeder Dumme werden. Hierzu muss man nur ein paar Unternehmensweisheiten lernen, sich jedoch nicht in ein in sich geschlossenes komplexes Geflecht wie eine volkswirtschaftliche Theorie hinein arbeiten.
Die Herrschaft der Betriebswirte bedeutet dann auch, gesamtwirtschaftliche Fragestellungen einzelwirtschaftlich zu lösen. Das heißt: Die wichtigen Wechselwirkungen der einzelnen Elemente untereinander werden ausgeblendet, weil der Blick von oben auf das Ganze den Akteuren zu schwierig ist. Oder einfach nicht ins Konzept passen. Und anstelle dessen werden die Weisheiten des Hausvaters und Unternehmenslenkers auf die Gesamtwirtschaft übertragen. Im Endergebnis kommt dabei nichts anderes heraus als wenn eine Hausfrau die Mondlandung koordinieren müsste: Ein gigantischer Schiffbruch nämlich!
Ein paar der übereinstimmenden Weisheiten von Hausvätern, Politikern, Hausfrauen und Betriebswirten habe ich im Folgenden angeführt. Sie sind in Anführungszeichen gesetzt. Anschließend habe ich angedeutet, wie eine alternative Sichtweise beziehungsweise eine volkwirtschaftliche Kreislaufbetrachtung dagegen aussehen würde.
(1) „Ein Defizit des Staates hat eine negative Wirkung auf die Ökonomie.“ Das ist einerseits richtig, weil so ein großer Schuldner zusätzlich Kapital nachfragt, die anderen verdrängt und die Zinsen nach oben treibt. Gleichzeitig lassen die dadurch erhöhten Staatsausgaben aber auch die Wirtschaft wachsen. Eine Belastung späterer Generationen gibt es nicht, da sowohl die Pflicht zur Zahlung von Zins und Tilgung als auch das Recht, beide zu erhalten, weiter vererbt werden.
(2) „Die Sanierung einer Volkswirtschaft hat über Kostensenkungen der Unternehmen zu geschehen.“ Kostensenkungen sind positiv für die Unternehmen. Da alle Kosten jedoch gleichzeitig Einkommen sind (volkswirtschaftliche Kreislauftheorie!) wird dadurch der Konsum geschwächt und die Gefahr einer Abwärtsspirale geschaffen.
(3) „Arbeitslosigkeit entsteht auf dem Arbeitsmarkt.“ Am Arbeitsmarkt wird Arbeit angeboten und nachgefragt. Die Nachfrage der Unternehmen richtet sich jedoch nicht ausschließlich nach dem Preis der Arbeit, sondern in entscheidendem Maße nach den Absatz- und Gewinnerwartungen der Produkte, die mit der Arbeit erzeugt werden können. Hier spielen die internationalen Vermögensmärkte ebenso eine Rolle wie die globalisierten Gütermärkte.
(4) „Investitionen können nur aus Ersparnissen entstehen.“ In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung müssen sich Ersparnisse und Investitionen stets entsprechen. Daraus kann man jedoch nicht auf die Kausalrichtung schließen. Zunächst einmal braucht man zum Investieren nicht Ersparnisse, sondern Geld. Die Investitionen führen anschließend die Ersparnisse selbst herbei, beispielsweise in Form von Kapitalaufstockungen seitens der Unternehmen.
(5) „Für neue Arbeitsplätze brauchen wir Wachstum.“ Es gibt keine Wirtschaftstheorie, die das Entstehen von neuen Arbeitsplätzen an Wachstum koppelt. Auch empirisch gibt es nur bedingt Evidenz dafür. Auf jeden Fall ist diese Gesetzmäßigkeit eher intuitiv. Es ist die rein einzelwirtschaftliche Sicht. Ein einzelnen Unternehmen wird nur dann mehr Leute einstellen, wenn es auch mehr produzieren kann. In einem Gesamtsystem ist dem aber nicht unbedingt so. In der Neoklassik beispielsweise sind Preisrigiditäten für Arbeitslosigkeit verantwortlich, nicht zu geringes Wachstum. Und im Keynesianismus eine (vermögensmarktinduzierte) Störung der Einkommensbildung –also ebenfalls keine Wachstumsschwäche.
Mit den besten Grüßen!
Bernd Niquet
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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