sonntag, den 05.06.2005
Jetzt nicht die Nerven verlieren
Von Dr. Bernd Niquet
Ich glaube, die wichtigsten beiden wirtschaftlichen Probleme
der aktuellen Gegenwart sind kaum jemandem richtig bewusst.
Aus meiner Sicht sind es die Folgenden:
(1) Wir alle glauben, dass die Politik den Karren in den
Dreck gefahren hat und fuer die gegenwaertige Malaise verant-
wortlich ist, weil sie stets falsch gehandelt hat.
(2) Wir alle glauben, dass die Politik, wenn sie nur rich-
tig gehandhabt wird, die Dinge wieder deutlich zum Besseren
wandeln kann.
Ich halte beide Punkte fuer grundfalsch. Wir alle sind einer
Politikillusion aufgesessen. Wir halten die Politik schlicht-
weg fuer zu maechtig. Natuerlich kann die Politik in ihrem
ureigenen Bereich sehr viel veraendern, wie wir nicht zuletzt
an der Deutschen Einheit und am Euro sehen koennen. Doch auf
die Marktergebnisse hat die Politik nur geringen Einfluss.
Diese Marktergebnisse sind jedoch die entscheidenden Groessen
in einer Marktwirtschaft. Sie legen die Hoehe der Beschaefti-
gung fest - und sind damit die Ausloeser von Arbeitslosig-
keit.
In diesem Marktprozess kann der Staat die Rahmenbedingungen
setzen. Ich denke, die Bundesrepublik nimmt hier weltweit
eine fuehrende Rolle ein: Unsere Kapitalmaerkte sind voellig
frei. Und die Waren- und Arbeitsmaerkte sind ebenfalls - an
den historischen Standards der juengeren Vergangenheit gemes-
sen - relativ liberal. Zudem hat die Bundesregierung die
Steuern auf Kapital- und Unternehmenseinkuenfte radikal ge-
senkt. Es bleibt die Buerokratie und die ganzen Verordnungen,
die niemand mehr ueberblickt. Aber ist das in anderen Laen-
dern so viel anders?
Unsere herrschende Wirtschaftstheorie behauptet, dass die
Maerkte alles richten werden. Und wenn dem nicht so, dann
gibt es entweder ein Versagen der Maerkte oder ein Versagen
der Politik. Und auf beidem wird derzeit rumgeritten wie es
ansonsten nur die Kinder mit den Pferdefiguren auf dem Spiel-
platz tun.
Ich halte die These vom Marktversagen ebenso fuer falsch wie
die vom Politikversagen. Unsere Maerkte sind nicht strangu-
liert. Wer heute Arbeitnehmer neu einstellen will, der kann
voellig frei Zeitvertraege und befristete Vertraege ab-
schliessen, so dass er das Risiko der Dauer nicht zu tragen
hat. Es bleibt das Politikversagen. Auch das halte ich fuer
falsch, weil es sich aus einer falschen Theorie speist. Na-
tuerlich belastet heute die Staatsschuld. Doch wer das be-
klagt, beluegt sich gleichsam selbst. Denn wenn wir heute
weniger Staatsschulden haetten, dann wuerden wir sie jetzt
ausweiten. Doch gleichzeitig haetten wir die gegenwaertigen
Probleme bereits viel frueher bekommen.
Die Krux liegt ganz woanders: Die wirklichen Herrscher der
liberalisierten Welt sind nicht die nationalen Politiken,
sondern die internationalen Vermoegensmaerkte. Und hierauf
hat die Politik nur einen bedingten Einfluss. Sie kann das
Wasser in den Eimer fuellen, doch wenn die Pferde nicht sau-
fen, dann kann sie nichts weiter tun. Die Politik kann nur
die Rahmenbedingungen setzen, auf die Praeferenzen der inter-
nationalen Kapitaleigner kann sie nicht einwirken. Beschaef-
tigungswirksame Investitionen wird es hierzulande aber nur
dann geben, wenn die in Deutschland hergestellten Produkte
und Dienstleistungen hier auch abgesetzt werden koennen. Wer
jetzt also die Mehrwertsteuer anheben will, gehoert ins Toll-
haus der Oekonomie. Voellig egal, was er mit dem dadurch ein-
gespielten Betrag alles Gutes machen will.
Ich denke, wir brauchen jetzt keinen Aktionismus. Wir muessen
uns zuerst einmal von den Illusionen verabschieden, dass die
Politik die Dinge wieder richten kann. Sie kann es nicht. Die
Probleme, die wir gegenwaertig haben, sind typische Probleme
einer reichen und gesaettigten Volkswirtschaft. Wir brauchen
keine neuen Gurus, sondern wir muessen schlichtweg lernen,
nicht die Nerven zu verlieren und Verschlechterungen der Lage
einfach durchzustehen. Wir werden reich bleiben, muessen je-
doch unsere internen Probleme anpacken. Es waere jedenfalls
unmoralisch, alleine aufgrund des Auftretens neuer Konkurren-
ten im Osten Selbstmord machen zu wollen. Es schadet mir gar
nichts, wenn mir der Kopf abfaellt, warum hat ihn Mutti nicht
festgehalten.
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Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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