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Alt 05-03-2005, 08:57   #1861
Benjamin
TBB Family
 
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Beiträge: 10.373
Hallo zusammen,
tja, das wußte ich gar nicht. Bin nicht so viel in anderen Boards unterwegs, konzentriere mich mehr darauf, meine eigene Meinung zu bilden aus den vielen Inputs, die ich so wahrnehme. Habe aber bemerkt, dass meine Posting-Attachments mit meinen EW-Analysen in anderen Boards auftauchen, was mich veranlaßt hat, immer mein Pseudonym dazu zu schreiben, weil es doch einen gewissen Hang bei den Leuten gibt, die Dinger zu vereinnahmen. Auf jeden Fall freut es mich natürlich.

Allerdings: Ob meine seit Monaten vertretene These (Dollaraufwertung bis ca. August 2005, danach dramatische langfristige Dollarabwertung) überhaupt stimmt, das stelle ich immer wieder selbst auf den Prüfstand; und wenn der Kurs so in die Gegenrichtung abdüst wie jetzt am Freitag unmittelbar nach den US-Arbeitsmarktzahlen, dann frage ich mich natürlich jedes mal neu und besorgt: "Lieg'ste da falsch?"

Tja, mein "Problem" ist: Ich finde trotz eifriger Suche z. Z. keine bessere Erklärung als meine eigene, jedenfalls keine, die mich bisher überzeugt hat. Und das ist leider eine extreme Minderheitenmeinung. Die Chartisten sehen praktisch alle den Dollar aufwerten, weil sie in aller Regel reine Trendfolger sind. Es gibt immerhin unter den Ökonomen noch einige, die meiner Auffassung zustimmen. So, und damit kommen wir zum Thema:

Für eine mittelfristige Dollaraufwertung bis ca. Juli/August 2005 kann man imo mindestens diese 3 Gründe anführen:

1. Die letzte US-Inflationszahl kam viel stärker rein als erwartet, der Rentenmarkt bekam u. a. deswegen (es gibt noch eine Reihe anderer Gründe) einen ersten Schock, ganz deutlich hier zu sehen:
http://www.traderboersenboard.de/sho...256#post160256
Die kürzliche US-Inflationsmeldung könnte einer von mehreren Triggern gewesen sein, nun zumindest kontinuierlich fortgesetzte - wenn nicht gar verstärkte - US-Leitzinserhöhungen zu erwarten. Folge: Carry-Trades in den Dollar hinein nehmen erheblich zu, der Dollar steigt.
Zugleich nehmen Zinszahlungen der verschuldeten Verbraucher zu, die haben dann weniger Geld, um ausländische Produkte einzukaufen: Leistungsbilanzdefizit sinkt oder steigt zumindest nicht mehr weiter. Da die Rohstoffpreise mittelfristig weiter steigen sollten, selbst wenn sich der US-Konsum etwas abschwächt (weil andere große Rohstoffabnehmer im Weltmarkt eine große Nachfrage zeigen siehe Indien, China, Tigerstaaten, Brasilien, etc., also den zinsanstiegsbedingten US-Konsumrückgang kompensieren), wird Inflation wohl auch in den USA ein Thema werden und die US-Leitzinsen weiter nach oben drängen.

2. Robustes und vergleichsweise hohes US-Wirtschaftswachstum macht USA-Anlagen attraktiv. Der Arbeitsmarkt wächst, F&E läuft gut, viele kleine US-Unternehmen entwickeln laufend neue Technologien, die letztlich der Wirtschaft insgesamt zugute kommen, um gegen die Konkurrenz der Billiglohnländer zu bestehen. Potentialwachtum wurde erreicht. Die Unternehmen haben derzeit so viel Cash, dass sie kaum wissen wohin damit: Aktienrückkaufprogramme, Untenehmensübernahmen, hohe Dividendenzahlungen sind Merkmale dafür. Die USA sind ein Land, das es gut meint mit denjenigen, die Vermögen besitzen - und ausschließlich nur denjenigen. Da wird auch das Ausland noch eine ganze Weile anlegen wollen. Und das werden sie wohl oder übel in Dollars tun müssen.

3. US-Haushaltsdefizit soll deutlich reduziert werden. Wenn das wirklich passiert, wäre das Dollar-positiv. Greenspan hatte das jüngst erst in vergleichsweise deutlicher Form wieder einmal angemahnt. Ist ein schwächeres Argument, da abhängig von den Taten der US-Regierung, die den netten Worten Bush's nun folgen müssen. Das Haushaltsdefizit bildet zusammen mit dem o. g. Leistungsbilanzdefizit das wesentliche strukturelle Problem für den Dollar.

Einer von mehreren Triggern für das Ende der schönen Reise für den Dollar im Sommer/Herbst 2005 könnten zunehmende Spannung im Mittleren Osten werden. Der schöne Anlegertraum kollabiert nämlich, falls Bush's Drohrethorik tatsächlich auch Kriegstaten folgen sollten. Aber ob Bush das überhaupt finanziert bekommt (selbst ein Bush muss da durch gewisse US-Instanzen durch), das bleibt vorerst fraglich. Da wir jetzt schon März haben und so ein Vorhaben eine enorme Vorlaufzeit erzwingt, kann ich mir in diesem Jahr derzeit keine tätliche Iranvorgehensweise vorstellen. Die Diplomatie muss und wird vorher über viele Monate mit all ihren vielen Zwischenstufen gespielt werden müssen, zusätzlich zum entsprechenden Marketing in den US-Medien. Und falls Iran sich doch einen Sinneswandel abringen läßt durch tüchtige Garantieversprechen Europas und ggf. Partnerstaaten in der Region (Türkei könnte ich mir vorstellen), dann freut sich ohnehin jeder.

So, nach diesem kleinen Ausflug nun eine wichtige Frage: Wenn Greenspan und alle möglichen anderen Ökonomen der US-Wirtschaft ein robustes Wachstum bescheinigen und die US-Arbeitsmarktzahl am gestrigen Freitag sogar über der bereits hohen Konsensschätzung der Ökonomen hereinkam, warum fällt dann der Dollar unmittelbar nach Bekanntgabe der Zahl? Da bin ich auch unsicher. Meine Vermutung: Börsenpsychologie + Ausrichtung auf ganz kurzfristige Effekte. Denn mittelfristig macht das keinen Sinn imo, ich erkenne da jedenfalls keine Logik. Falls meine Erklärungsvermutung des Aufwärtsmoves stimmt, dann kollabiert das rasch, die Leute besinnen sich darauf, was über die nächsten Tage hinaus erwartbar ist.

Konsequenterweise setze ich hier erneut auch die Nagelprobe an bei meiner ganzen Erklärungsweise: Falls dieser Aufwärtsmove in den Freitagsstunden nach den US-Arbeitsmarktzahlen für Februar höher laufen sollte, als es durch Flat + Abschlussdreieck erklärt werden kann, dann gehört mein ganzer Ansatz entweder ganz in den Mülleimer, oder jedenfalls ganz fundamental auf den Prüfstand, jedenfalls wäre dann Wunden lecken und eine Auszeit bei EUR/USD für mich angesagt. Aber wie gesagt: Bislang habe ich nichts besseres gefunden und ich habe nun wirklich massiv gesucht.

Reale Welt:

Meine Theorie:


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Geändert von Benjamin (15-02-2013 um 21:10 Uhr)
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