Ist das der Anfang einer neuen langen Abwärtsbewegung?
von Jochen Steffens
Es ist schon lustig, das Tradervölkchen zu beobachten. Immer wieder muss ich mich an die Metapher von der Bullen- und Bärenkoppel erinnern und so bleibt trotz aller Härten des Börsenalltags oft genug ein Schmunzeln:
Kaum fallen die Börsen, da stoben wir Trader durch das enge Gatter auf die Bärenkoppel und stehen dort dicht gedrängt und harren der Dinge die da kommen. In den Börsenforen werden die Artikel der Oberbären veröffentlicht, die den Dax auf 1000 Punkte runterrechnen. Allgemein sinkt die Stimmung auf den Gefrierpunkt. Meistens entsteht eine gereizte Stimmung, die sich in den verschiedensten Diskussionen widerspiegelt, ob es um Politik geht oder den Bush Besuch – bei fallenden Stimmungen wird gewettert und beschimpft. So tiefer es fällt, so schmutziger die Gereiztheit, so persönlicher die Beschimpfungen. Ein alter Traderkollege hatte mir vor Jahren den Hinweis gegeben: Wenn in den Foren die "Blutthreads" (Thread ist eine neue Diskussion, ein neues Thema) auftauchen, dann kannst du ohne Sorge einsteigen.
Unter Blutthread verstand er solche Überschriften wie: "Siemens bald Pennystocks?","Telekom geht Konkurs!", "Weltuntergang steht bevor!".
Leider sind die Thread-Überschriften heute nicht mehr so saftig, wie in den Jahren, als noch allerlei munteres Völkchen an den Börsen ihr Unwesen trieb. Damals war die Masse der Börsenteilnehmer im Schnitt unerfahrener und emotional stärker involviert. Heute sind die Stimmungen subtiler. Alle wollen antizyklisch handeln (was dieses Unterfangen ungemein erschwert). Die Stimmungen werden über eine Vielzahl von Indikatoren analysierte und zementiert. Im Moment ist es "In", nicht die Masse zu sein, und jeden anderen als Kontraindikator zu beschimpfen. Wenige merken, dass genau dieses Verhalten erneut Teil des Massenverhaltens geworden ist. Mittlerweile geht es nicht so sehr um antizyklisches Handeln, sondern um die Frage, ob wieder langfristig investiert werden kann, damit das Geld nicht auf Festgeldkonten verschimmelt. Dazu in den nächsten Wochen mehr.
Der Dow hat gestern den stärksten Kurseinbruch seit fast einem Jahr hinlegen müssen und schloss auf Tagestief. Die Bären wittern wieder Morgenluft und erwachen aus ihrem Winterschlaf. Hintergrund waren die stark steigenden Ölpreise. Heute morgen enttäuschte der Ifo-Geschäftsklimaindex, er sank wider Erwarten auf 95,5 Punkte nach 96,4 Punkten. Auch hier wirkt sich die konjunkturelle Delle der Weltwirtschaft offenbar auf die Stimmung der Unternehmen aus.
Der besorgte Investor fragt sich: Ist das nun vielleicht der Anfang einer neuen langen Abwärtsbewegung?
Ich kann nur zur Vorsicht mahnen, wir erleben im Dax lediglich nach neuen Höchstständen eine starke Korrektur. Das war jedoch in den letzten Monaten ständig der Fall: Auf jeden neuen Höchststand folgte eine scharfe Korrektur. Und deswegen möchte ich wieder darauf hinweisen, auch auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: In den seltensten Fällen ist eine derart scharfe Korrektur der Anfang eines neuen Abwärtstrends (es sei denn, es kam zuvor zu extremen euphorischen Übertreibungen, aber das ist ein anderes Thema). Es ist genau umgekehrt: Diese ständigen neuen Hochs ohne Übertreibungen und die scharfen Einbrüche sind nach wie vor, wie in den letzten Wochen bereits bullish zu werten.
Lassen Sie sich also nicht von der Stimmung, auch nicht von ihrer Börsen-Mainstream-Stimmung zu überstürzten Reaktionen verleiten. Analysieren Sie genau was geschieht. Der Trend ist so lange in Ordnung, bis es deutlich bearishe Zeichen gibt. Und diese sind im Dax noch weit entfernt. "Bearish" im eigentlichen Sinne wird es erst, wenn der Dax die 4075/80 Punkte nachhaltig bricht. Wirklich ernsthafte Sorgen um die Konjunktur muss man sich allerdings erst unterhalb der 3600 Punkte Marke machen.
Alles darüber ist tatsächlich noch bullish zu werten und befindet sich damit im Bereich der normalen "Wellenbewegungen" eines Index. Ohne diese Einbrüche könnte der Markt sich nicht bereinigen. Immer wieder müssen Investoren zum "Verkaufen" gebracht werden und so Käufer gute Einstiegskurse finden, damit ein Trend weiterlaufen kann. Das bedeutet ein gesunder Trend lebt geradezu von den Kurseinbrüchen, ohne diese würde er übertreiben und damit ein "ungesundes" Ende finden.
Trotzdem sollte man nicht die Gefahren aus den Augen verlieren und seine Positionen dem Markt anpassen. Und zurzeit gibt es eine Gefahr, welche die Qualität hat die Weltkonjunktur in Bedrängnis zu bringen: Der Ölpreis.
Doch auch hier gilt, wie im Sommer, Herbst letzten Jahres: Ein steigender Ölpreis ist ein "Bullenpotential! Denn sollte er wieder sinken, werden die Märkte auch trotz aller schlechten Nachrichten steigen.
Es ist nun also oberstes Gebot zu beobachten, wie der Markt mit dem Ölpreis "fertig" wird. Steigt der Markt (nach diesem ersten "Schock" gestern) trotz des steigenden Ölpreis weiter an, oder hält sich zumindest auf Niveau, dann sollten Sie kaufen. Das ist extrem bullish. Fällt der Markt bei weiter steigenden Ölpreisen, dann sollten Sie abwarten, bis neue Nachrichten den Ölpreis unter Druck bringt und dann kaufen.
Morgen werden um 16.30 Uhr die Öl-Lagerbestände in den USA veröffentlicht, welche die weitere Marschrichtung des Marktes vorgeben werden (Der Termin hat sich offensichtlich aufgrund des Feiertages um einen Tag nach hinten verschoben).
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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