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Alt 17-02-2005, 20:46   #169
Starlight
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Im Konsumland Amerika hat man das Sparen verlernt

Alan Greenspan kann sich noch so sehr bemühen, den Kongress von der steigenden Produktivität und der geringen Inflation in den USA zu überzeugen. Die Fragen an den Fed-Chef drehen sich doch nur um ein Thema: Die Sozialversicherungs- und Rentenreform, die Präsident Bush anstrebt. Die wird nämlich teuer – doch notwendig ist sie nicht.

Das Grundproblem der amerikanischen Rentenversicherung, hierzulande „Social Security“ genannt, ist schnell erklärt: Ähnlich dem Generationenvertrag in Deutschland zahlen auch in den USA jeweils die Arbeiter und Angestellten für die Rentner, das heißt die jüngere Generation für die ältere. Das Konzept hieß seinerzeit „The New Deal“ und gehört zu den größten Erfolgen von Präsident Franklin D. Roosevelt.

Ebenfalls ähnlich wie in Deutschland haben demographische Verschiebungen das einst ideale Abkommen gefährdet. Immer weniger junge Leute müssen für immer mehr Rentner sorgen. Wenn sich die „Baby Boomer“ in wenigen Jahren aus dem Arbeitsmarkt verabschieden, findet sich die Rentenversicherung endgültig auf einem abschüssigen Weg.

Überraschend nun ist das Konzept, mit dem George W. Bush das alte Roosevelt-Modell revolutionieren will. Er will Arbeitern und Angestellten erlauben, einen Teil ihrer Abgaben auf eigenen Konten zu lassen und für den eigenen Lebensabend zu investieren. Gegen diese Privatisierung sträuben sich Gegner in allen Parteien, da selbst die Republikaner nicht einstimmig hinter dem Präsidenten stehen. Das hat mehrere Gründe:

Während die Umschichtung von Geldern in private Konten nämlich den Banken und der Wall Street durchaus nützlich sein und neue Umsätze bescheren könnte, löst es keineswegs das Problem eines rückläufigen Kontostandes der staatlichen Rentenversicherung. Im Gegenteil: Über die nächsten Jahre müsste der ohnehin im Defizit versinkende Staat mehrere Billionen Dollar leihen, um die fehlenden Einzahlungen der Arbeiter und Angestellten auszugleichen.

Die Regierung Bush geht mit alten Mitteln über diese Problematik hinweg, denn sie hat sich die Reform nun einmal in den Kopf gesetzt. Die angespannte Situation um „Social Security“ wird kurzerhand zur Krise erklärt, obwohl sie das nun wirklich nicht ist. Unabhängige Experten haben längst berechnet und bewiesen, dass der aktuelle Topf noch bis weit in die Vierzigerjahre unseres Jahrhunderts reicht, und dass auch darüber hinaus noch 70 Prozent der Leistungen weiter bezahlt werden können.

Wenngleich es also stimmt, dass langfristig umgedacht werden muss, ist Eile doch nicht von Nöten.

Zumal es andere Möglichkeiten gibt, wie die Amerikaner ihre Ängste vor einem Lebensabend in Armut beseitigen könnten. Allen voran steht: Sparen!

Da mögen Bush und Konsorten lange von der „ownership society“ sprechen, einer Gesellschaft also, in der es mehr Eigentümer gebe denn je in der amerikanischen Geschichte. Die historische Aussage stimmt nämlich nicht. Zwar haben die niedrigen Zinsen dazu geführt, dass mehr Amerikaner denn je Häuser kaufen konnten und folglich nicht mehr zur Miete wohnen müssen. Doch haben Mister und Misses America an ihren Häusern weniger Geld anbezahlt denn je zuvor – viele nur fünf Prozent.

Andere Hauseigentümer, deren Hypotheken ganz oder weitgehend abbezahlt waren, haben sich durch die niedrigen Zinsen verleiten lassen, neue Hypotheken-Kredite aufzunehmen. Sie haben in den letzten drei Jahren ihre Häuser beliehen, um – das zeigt ein Blick auf die Verbraucherasugaben – vor allem größere Fernseher, Computer und andere Konsumgüter zu kaufen.

Es ist nicht neu, dass die stetig steigenden Verbraucherausgaben über die wahre Gesundung der US-Konjunktur hinweggetäuscht haben. Genausowenig ist nicht neu, dass der Arbeitsmarkt deutlich schwächer ist als ein rascher Blick auf die Statistik erkennen lässt. Beides aber ist hoch gefährlich, und das wird durch zwei Zahlen deutlich: Hatte die Sparrate der US-Bürger vor zwanzig Jahren noch zwölf Prozent betragen, so liegt sie heute fast bei Null.

Wer sich in Amerika Sorgen um seine Rente macht, der muss sich folglich gar nicht zuerst an die Regierung wenden. Wer heute wieder zwölf Prozent seines Einkommens sparen und in einem defensiven Fond investieren könnte, der würde es in einem durchschnittlichen Arbeiter- und Angestellten-Leben auf durchschnittlich mehr als eine Million Dollar bringen. Und damit dürfte sich der Lebensabend wohl sorgenfrei genießen lassen.

© Wall Street Correspondents Inc.
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