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Alt 16-02-2005, 20:17   #167
Starlight
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Ein zufriedener Alan Greenspan bewegt den Markt nicht

Die halbe Woche lang wartete die Wall Street mit Spannung auf die Rede von Alan Greenspan vor dem Kongress. Jetzt hat der Notenbanker gesprochen, und die Kurse reagieren nicht. Im Gegenteil: Nachrichten aus dem Iran sind es, die Anlegern am Mittwoch Sorgen machen, zumal Greenspan – wieder einmal – nichts Neues zu sagen wusste.

Es ist so eine Sache mit dem Chef der Notenbank. Manches finanz-orientierte Medienorgan hypt die Bedeutung des Rechenschaftsberichts mit allen Mühen. Es sei das erste Mal seit vier Monaten, dass sich Greenspan zur Konjunktur äußere. Doch das stimmt nur halb. Erst vor zwei Wochen hat die Fed schließlich die Zinsen um einen weiteren Viertelpunkt angenommen und die Entscheidung mit einem kleinen Konjunktur-Überblick begründet. Geschrieben wurde das zugehörige Statement vom Offenmarktausschuss unter dem Vorsitz von… eben: Alan Greenspan.

Zwar tagt Alan Greenspans Offenmarktausschuss geheim, doch erzählen Insider, dass der oberste Währungshüter durchaus der wichtigste und über lange Strecken einzige Sprecher im Kommittee ist. Es ist also durchaus davon auszugehen, dass die Einschätzung des Offenmarktausschusses zum allergrößten Teil direkt aus dem Munde von Alan Greenspan kam.

Entsprechend blieb der Rechenschaftsbericht vor dem Kongress am Mittwochmorgen ohne Überraschungen. Unterm Strich laufe die Konjunktur bestens, so der Wirtschaftsweise. Man habe das neue Jahr mit Wirtschaftwachstum begonnen, während die Inflation und die Inflationsrisiken gut unter Kontrolle seien.

Ein wenig Sorgen scheint man sich über die Produktivität zu machen, deren sinkende Tendenz aber auch nicht neu ist. Eine geringere Produktivität schlage sich künftig auf die Arbeitskosten nieder, so Greenspan – auch das wird an der Wall Street seit mehreren Wochen diskutiert.

Überraschungen gab es leider auch da nicht, wo kritische Beobachter gerne welche gesehen hätten. Verschiedene konjunkturelle Indikatoren deuteten darauf hin, dass Amerika mehr und mehr investiere, so Greenspan. Das scheint sich indes in Corporate America nicht herumgesprochen zu haben, wo vor allem der Arbeitsmarkt zwar leicht anzieht, aber nicht die Art Erholung zeigt, die Greenspan, Bush und Konsorten seit geraumer Zeit beschwören.

Auch über die geringen Sparraten und die immer höhere Privatverschuldung der Amerikaner scheint sich Greenspan wenig Sorgen zu machen. Der Immobilien-Boom habe dem Volk mehr Geld in die Taschen gesteckt, und man sehe entsprechend höhere Verbraucherausgaben, so der Fed-Chef. Das könnte man indes auch aus einem anderen Winkel beleuchten. Die Amerikaner beleihen ihre Häuser dank niedriger Zinsen immer stärker und geben das Geld aus. Von der Eigentümergesellschaft in zahlreichen Bush-Reden ist das Land damit weit entfernt – der Konsum wird auf Kosten früherer Ersparnisse finanziert.

Es ist indes nicht ungewöhnlich für Greenspan, seine Meinung der politischen Linie anzupassen. So unterstützte er am Mittwoch erneut die Sozialversicherungsreformen des Präsidenten, obwohl diese zumindest kurzfristig ein weiteres Billionen-Loch in den Haushalt reißen würde und das Problem sinkender Einlagen für immer mehr Rentner gar nicht lösen kann.

Greenspan wird seinen Rechenschaftsbericht am Donnerstag wiederholen. Nach dem Senat spricht er dann vor dem Repräsentantenhaus, der zweiten Kammer des Kongress in Washington. Das Zeremoniell wird das selbe sein: In einer Fragestunde werden demokratische Abgeordnete den Fed-Chef grillen, Republikaner werden sanftere Nachfragen anstellen. Und am Ende werden sich alle beim Chairman bedanken, der für die nächsten drei Monate seine Pflicht getan hat…wären da nicht weitere Fed-Sitzungen, in denen die Zinsen weiter „in schrittweisem Tempo“ angehoben werden dürften. Davon ist auszugehen, da sich Greenspan am Mittwoch zu dem Thema gar nicht äußerte. Die Wall Street nimmt das als gutes Zeichen.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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