Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 26-01-2005, 18:07   #145
Starlight
TBB Family
 
Benutzerbild von Starlight
 
Registriert seit: May 2002
Beiträge: 33.345
Der frühe Händler fängt den Wurm

Ölpreis, Konjunktur, Bullen, Bären … das alles ist den Händlern am Mittwoch egal, ein viel wichtigeres Thema bestimmt das Gespräch auf dem Parkett: Wer künftig in New York Geld verdienen will, muss unter Umständen früh aufstehen. Die Wall Street könnte künftig bis zu zwei Stunden früher öffnen. Doch bis dahin wäre es ein langer Weg.

Zur Wochenmitte ist nicht mehr als „eine von vielen Ideen“ bekannt, mit denen der Vorstand der altehrwürdigen Börse die Umsätze verbessern und seine Vormachtstellung auf dem amerikanischen Markt verteidigen will.

Handlungsbedarf gibt es auf jeden Fall. Nicht nur die Nasdaq, sondern auch andere elektronische Händler haben dem Parkett über die letzten Jahre Marktanteile abgeknöpft. Händler und Spezialisten müssen sich mit deutlich geschrumpftem Salär zufriedengeben, und die Aussichten für die Wall Street – immerhin 1792 gegründet und damit eine amerikanische Institution – sind alles andere als rosig: Sitze in dem ehrwürdigen Haus wurden zuletzt für unter einer Million Dollar verkauft, vor drei Jahren kostete die Lizenz zum Dealen fast das Dreifache.

Da ist es nur normal, dass Börsen-CEO John Thain über mögliche Verbesserungen nachdenkt. Und die Handelszeiten – zur Zeit von 9.30 bis 16 Uhr Ostküsten-Zeit – auszuweiten ist nicht weit hergeholt. Zum einen haben bereits Thains Vorgänger William Donaldson, der heutige SEC-Chef, und der inzwischen in Ungnade gefallene Dick Grasso darüber nachgedacht. Und zum anderen hat mit Frankfurt ja auch die wichtigste europäische Börse den Handel vor nicht allzu langer Zeit in die frühen Abendstunden verlängert.

Um noch näher an Europa zu sein, wo viele NYSE-Listings beheimatet sind, will die Wall Street nun handeln. Frühere Öffnungszeiten sollen mehr Europa-Geschäft nach New York holen. Auch glaubt man, die manchmal starke Diskrepanz zwischen Schluss- und Eröffnungskurs verringern zu können, wenn man den Handel früher eröffnet – und damit mehr Nachrichten (Quartalszahlen, Konjunkturdaten …) in die Zeit nach der Glocke fallen.

Doch so leicht ist das alles nicht. Obwohl der Börse etwas mehr Geschäft sicher sein dürfte, ist überhaupt nicht klar, um wieviel es sich handelt. Zudem wäre ein um ein oder gar zwei Stunden früherer Börsenstart geradezu katastrophal für Händler an der Westküste. Wer in Los Angeles und San Francisco Kapital an der Börse managt, der muss jetzt schon um fünf Uhr früh im Büro sein.

So stellt man sich selbst an der vordergründig so kalt berechnenden und finanzregierten Börse die Frage, ob die neuen Zeiten menschlich tragbar wären. Wer früher aufsteht müsse früher ins Bett, viele Händler müssten weitgehend auf ihr Familienleben verzichten – und wüssten dabei nicht, wie viel Mehr-Umsatz ihnen ein solcher Schritt bescheren würde. Ein Börsenstart um 7.30 Uhr hat auf dem Parkett entsprechend gar keine Unterstützung, für einen Glockenschlag um 8.30 Uhr sähe die Lage schon etwas besser aus.

Die Entscheidung über die Handelszeiten liegt indes weder bei den Händlern noch bei den Mitgliedern der Institution, sie ist allein Sache der Geschäftsführung.

Dort denkt man auch über einen Kompromiss nach: Die Börse, so heißt es, könne um 7.30 Uhr für den elektronischen Handel öffnen, während der herkömmliche Parketthandel nach wie vor um 9.30 Uhr beginnen würde. Dieser Weg würde indes eine ganz neue Gefahr bergen: Der elektronische Handel würde stark an Bedeutung gewinnen, und das langsame Ende des Parketthandels wäre eingeläutet. Mit diesem jedoch begründet die Wall Street bis heute ihre internationale Vormachtstellung.

© Wall Street Correspondents Inc.
Starlight ist offline   Mit Zitat antworten