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Alt 02-12-2004, 17:50   #92
Starlight
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Schenkt sich die Börse ihre eigene Rallye?

„Juppheidi und Tralala“ ist dieser Tage das Motto der Wall Street. Die Bären haben sich zum Winterschlaf in ihre Höhlen verkrochen, und die Bullen laufen Sturm, dass dem Bürgermeister von Pamplona schwindlig werden könnte. Woher die Börse einen so gewaltigen Optimismus hat, ist unklar – allein, er steckt in jeder Faser des Marktes.

Den Stimmungswandel auf dem Parkett illustrieren zwei Umfragen von CNBC. Als der Dow vor ein paar Wochen – wieder einmal – die 10 000-Punkte-Hürde genommen hatte, fragte der Börsensender seine Zuschauer nach der nächsten Marke: Eine Mehrheit fürchtete damals noch, dass der Dow eher auf die 9000 als auf die 11 000 zuhalten würde.

An diesem Donnerstagmorgen ist das anders: 52 Prozent der Befragten sehen den Dow noch in diesem Jahr über 11 000 Punkte klettern, und der Rest zweifelt wohl auch nicht mehr am Trend, sondern allenfalls noch am Tempo.

Das Schöne an der Börse ist, dass Prophezeihungen normalerweise in Erfüllung gehen, wenn nur genügend Anleger daran glauben. Denn es ist ja der Optimismus, der Käufer schafft und den Markt anheizt. Angesichts zweier Studien zur Wochenmitte muss sich an der Wall Street keiner Sorgen um die rosarote Stimmung machen.

Der Business Roundtable, ein Manager-Gremium, das auch den US-Präsidenten berät, hat herausgefunden, dass die CEOs in Corporate America „sehr optimistisch gegenüber der Konjunktur“ sind. Zwar machen sich die Chefs Sorgen um steigende Kosten für Energie und Gesundheitsvorsorge, doch gibt man sich unter’m Strich gelassen: Mit einem Index-Stand von 98,9 im vierten und 101,7 im dritten Quartal herrscht eine Stimmung wie seit Beginn der Umfage vor mehr als zwei Jahren nicht.

Nach dem robusten Wachstum im Jahr 2004, das natürlich vor allem aufgrund der schwachen Vergleichwerte glänzen konnte, rechnet man “weiterhin mit solidem Wachstum“. „Die Investitionen von Corporate America dürften das BIP-Wachstum noch über einige Monate hinweg antreiben“, erklärt Hank McKinnell, CEO des Pharnazeuten Pfizer und Vorsitzender am Business Roundtable.

Am Runden Tisch glauben 85 Prozent der CEOs an Umsatzwachstum bei ihren Firmen, während 13 Prozent eine flache Entwicklung sehen. Nur 2 Prozent der Top-Manager gehen von einem Umsatzrückgang aus. Etwas schwächer als der allgemeine Optimismus fällt interessanterweise der Tatendrang der Unternehmen aus: 43 Prozent der Unternehmen wollen ihre Investitionen erhöhen, 40 Prozent planen Neueinstellungen.

Ebenso rosarot wie die CEOs blickt der Einzelhandel in die Zukunft – das will jedenfalls der Branchenverband NRF glauben machen. Dabei stolpert man indes ein wenig durch die Argumentation. So lobt der Verband, dass der Performance-Index für November mit 54,6 Punkten notiert und damit stabil gegenüber dem Vormonat. Ein Blick auf den Jahreschart verrät allerdings, dass der Index zu Beginn des Jahres einmal bei 65 Punkten stand, und dass 54,6 die schwächste Notierung seit zwölf Monaten ist, von zwei Ausrutschern im Sommer einmal abgesehen.

Auch der Blick nach vorne fällt mit einer Einschätzung von 55 Punkten nur ein kleines bisschen besser aus als vor einem Monat, als die Branche die Aussichten mit 52,3 bewertete. Doch zeigt der Trend: Der Einzelhandel ist optimistisch, obwohl die jüngsten Zahlen zum Weihnachtsgeschäft nun wirklich nicht zu Freudentänzen animieren sollten.

Wie auch immer, die Wall Street hofft auf eine Weihnachts-Rallye. Man ist notfalls gerne bereit, sich eine solche selbst zu schenken. Danach sieht es dieser Tage aus.


Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc.
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