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Alt 01-12-2004, 17:56   #91
Starlight
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Anleger warten (vielleicht umsonst) auf eine Weihnachts-Rallye

Noch ein Monat, oder genauer: noch 22 Handelstage, bis zum Jahresende. Die Wall Street zieht schon einmal Bilanz, und sei es auch nur, um die Aufwärts- und Abwärtstrends für den noch ausstehenden Dezember besser einschätzen zu können. Anleger hoffen auf eine Weihnachts-Rallye – allzu gut sieht es aber nicht aus.

Dazu vorab eine historische Einordnung: In fünf der letzten sechs Jahre hat die Wall Street eine Weihnachts-Rallye gesehen. Vor einem Jahr kletterten allein die Blue Chips im Dezember um satte 5,5 Prozent, obwohl die Jahresbilanz ohnehin schon deutlich war: Nach drei Jahren im freien Fall hatte sich die Wall Street wieder gefangen. Über’s Jahr hatten zehn Monate dem Dow ein Plus beschert, nur zweimal färbte sich ein Kalenderblatt rot.

Für 2004 fällt die Bilanz nicht so gut aus – und vor allem nicht so klar. Vom ersten Handelstag an gerechnet fällt die Bilanz zwar positiv aus, doch sind vor allem die Blue Chips noch nicht gerettet. Das Standardbarometer der dreißig wichtigsten amerikanischen Industriewerte verzeichnet gerade einmal ein Plus von 0,9 Prozent. Etwas besser sieht es da für den breiten Markt aus: Der S&P-500-Index hat seit Jahresbeginn um 6,7 Prozent zugelegt, die überwiegend von Hightechs getriebene Nasdaq steht mit 6,1 Prozent im Plus.

Die Gründe für das stärkere Abschneiden von Nasdaq und S&P-500 sind klar: Der stärkste Wachstumssektor des Jahres – Öl- und Gaswerte haben um mehr als 50 Prozent zugelegt – ist im Dow unterrepräsentiert. Und das gilt auch für die Energieversorger und die Transportwerte mit einem Plus von 28 Prozent sowie die Internetwerte, deren Plus von fast 30 Prozent vor allem der Nasdaq gut tat. Unternehmen wie Yahoo und Ebay haben in diesem Sektor kräftig zugelegt, vom Börsen-Novizen und Shooting-Star Google einmal ganz zu schweigen.

Zurück aber zum Dow, denn der zeigt am deutlichsten die Problematik der Wall Street im Dezember. Auf eine Weihnachts-Rallye könne sich Anleger nämlich angesichts teurer Öl- und Gaspreise, schwacher Umsätze im Weihnachtsgeschäft und eines sinkenden Verbrauchervertrauens keineswegs verlassen. Da indes viele Fonds das Jahr gerne positiv beenden müssen – schon um 2003 nicht als „Ausrutscher nach oben“ abhaken zu müssen, sondern vielmehr eine Trendwende verbuchen zu können – haben viele die Bücher vorzeitig geschlossen.

Mit Recht, wie ein Blick auf den jüngsten Jahres-Chart zeigt: 2004 zeichnete sich nämlich kein zuverlässiger Trend ab. Auf zwei gute Monate zu Jahresbeginn folgten drei schwache Monate, der Juni war gut, der Juli schlecht, der August war besser und September und Oktober wieder schlechter… auf einen positiven November (Dow: +4 Prozent, Nasdaq: +6 Prozent) muss kein guter Dezember folgen.

Diese Angst vor einem labilen Markt und einem schwachen Jahresende könnte indes zu einer Prophezeihung werden, die sich am Ende selbst erfüllt. Wenn Anleger risikoscheu werden und nicht mehr kaufen, dann sind fallende Kurse vorprogrammiert – der Weihnachtsmann kann dann auch nicht mehr helfen.

Stellvertretend für die Unlust der Fonds, zum Jahresende noch einmal aktiv zu werden, äußert sich zum Monatsersten Bill Miller, der Manager des Legg Mason Value Trust Fonds. Der hat zuletzt dreizehn Jahre in Folde den S&P-500 geschlagen und gilt damit als Legende im Anlagegeschäft. Für 2004 liegt er erstmals zurück, und jetzt vertraut er sich dem Schicksal an: „Das Portfolio steht“, sagt er über seinen 14,8 Milliarden Dollar schweren Topf. „Jetzt warten wir einfach ab.“

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc.
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