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Alt 21-11-2004, 12:54   #19
621Paul
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Taucher ohne Sauerkraut

Von Dr. Bernd Niquet

"Aehhh?" hat meine Tochter neulich voellig verstaendnislos
das kommentiert, was sie irgendwo in einem Film oder auf
einem Foto erspaeht hat: "Da waren Taucher - und die sind
voellig ohne Sauerkraut getaucht! Geht denn das ueberhaupt?"

Der verblueffte Vater muss sich erst einmal sammeln. Ohne
Sauerkraut getaucht? Natuerlich! Als begeisterte Nemo-Seherin
weiss sie natuerlich, dass Taucher mit Sauerstoff-Flaschen
tauchen. Die Taucher sind also ohne Sauerstoff getaucht und
nicht ohne Sauerkraut. Rein formal ist das nur ein marginaler
Fehler, denn hier sind nur fuenf Buchstaben falsch in einer
langen Kette von Saetzen. Die Bedeutung ist dadurch jedoch
voellig veraendert.

So - nun hat der Autor bereits gesagt, was er wirklich sagen
will. Und wie bringt er nun die Kurve zur Boerse hin?

Ganz einfach, er macht es wie immer und sagt: Hier ist es
natuerlich auch nicht anders! Hier wird zwar nicht ohne
Sauerkraut getaucht, dafuer aber im Geld geschwommen. Und die
Verwechslungen, die dabei entstehen, sind in etwa der glei-
chen Groessenordnung zuzuordnen wie den Verwechslungen vier-
jaehriger Kinder. Was natuerlich kein gutes Bild auf den
Zustand unserer Welt wirft. Denn wir haben uns entschieden,
dass das Geld die Welt regieren soll - und trotzdem denken
wir dabei anscheinend stets, mit Sauerkraut tauchen zu
koennen.

Warum steigt der Goldpreis derzeit so stark an? Die neueste
Erklaerung (nachdem alle anderen bereits durchprobiert sind)
lautet: Weil das Geld, das die Notenbank in den USA schoepft,
ja irgendwo hinfliessen muss.

Das Geld fliesst also ins Gold. Ich rege dazu einmal das
folgende Experiment an: Nehmen Sie einmal einen Goldbarren
(ersatzweise auch einen Stein) - und anschliessend versuchen
Sie, Geld hier hinein fliessen zu lassen. Das wird natuerlich
nicht gelingen - und zwar gleich aus zwei Gruenden: Erstens
fliesst das Geld nicht. Und zweitens kann es nicht ins Gold
hineinfliessen, weil dessen Dichte viel zu gross ist, so dass
es dort gar keinen Platz mehr hat.

Die Resultate dieses Experiments machen schlauer als das
Lesen von 1000 Seiten Boersenlektuere. Denn die Resultate
dieses Experiments sind wahr. Geld kann nicht fliessen. Es
kann ebenso wenig fliessen wie die Sonne aufgehen kann. Das
sagt man zwar stets, macht es dadurch aber keineswegs
richtig. Geld kann nicht fliessen, weil es keine Stroe-
mungsgroesse, sondern eine Bestandsgroesse ist. Mehr Geld
fuehrt daher nicht automatisch zu mehr Kaeufen (von Stereo-
anlagen, Radieschen, Aktien oder Gold). Zu mehr Kaeufen
fuehren immer nur Kaufentscheidungen in Verbindung mit vor-
handenem Vermoegen beziehungsweise Kreditmoeglichkeiten.

Deswegen wird auch weniger Geld nicht zu weniger Kaeufen
fuehren. (Schlimm waere es nur, wenn das Einkommen sinken
wuerde, denn Einkommen ist im Vergleich zum Geld eine
Stroemungsgroesse). Wir sollten also keine Angst haben, wenn
die Notenbanken nun zunehmend restriktiver werden. Die Aktien
koennen dann trotzdem weiter steigen. Die Geldmenge ist nicht
so wichtig, wie gemeinhin geglaubt. Sie hat in einer Volks-
wirtschaft etwa den gleichen Stellenwert wie das Sauerkraut
beim Tauchen. (Und das heisst: Viele halten Sie fuer sehr,
sehr wichtig !!!)

++++++

Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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