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Alt 20-11-2004, 12:08   #17
Sofix
hab das Jodeldiplom
 
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Ehrlichkeits-Geschichte

Daß nicht alles so uneben sei, was im Abendland so geschieht, das haben wir schon mal gehört. Auch folgende Begebenheit soll sich daselbst zugetragen haben:
Es begab sich, daß ein Verwaltungsangestellter, wir nennen ihn mal Törsten, eine beträchtliche Geldsumme, welche in ein Tuch eingenäht war, aus Unvorsichtigkeit verloren hatte. Er machte daher seinen Verlust bekannt, und bot, wie man zu tun pflegt, dem ehrlichen Finder eine Belohnung, und zwar von Hundert Talern an. Da kam bald ein guter und ehrlicher Mann, wir nennen ihn Görd, dahergegangen. „Dein Geld habe ich gefunden. Dies wird’s wohl sein! So nimm Dein Eigentum zurück!“ So sprach er zu Törsten mit dem heiteren Blick einen ehrlichen Mannes und eines guten Gewissen, und das war gut so.

Der Törsten machte auch ein fröhliches Gesicht, aber nur, weil er sein verloren geschätztes Geld wieder hatte. Denn wie es um seine Ehrlichkeit aussah, das wird sich bald zeigen. Er zählte das Geld und dachte unterdessen geschwinde nach, wie er den treuen Finder um seine versprochene Belohnung bringen könnte. „Guter Freund“, sprach er hierauf, „es waren eigentlich 800 Taler in dem Tuch eingenäht. Ich finde aber nur noch 700 Taler. Ihr werdet also eine Naht aufgetrennt und Eure 100 Taler Belohnung schon herausgenommen haben. Da habt Ihr wohl daran getan. Ich danke Euch.“ Das war zwar nicht schön, aber wir sind ja auch noch nicht am Ende.

Ehrlich währt am längsten und Undank schlägt seinen eigenen Herrn. Der ehrliche Finder Görd dem es weniger um die 100 Taler als um seine unbescholtene Rechtschaffenheit zutun war, versicherte, daß er das Päcklein so gefunden habe, wie er es bringe, und es so bringe wie er’s gefunden habe. Am Ende kamen sie vor den Richter, wir nennen ihn mal Ströter. Beide bestanden auch hier noch auf ihre Behauptungen, der eine daß 800 Taler eingenäht gewesen seien, der andere, daß er von dem Gefundenen nichts genommen und das Päcklein nicht versehrt habe. Da war guter Rat teuer.

Aber der kluge Richter Ströter, der die Ehrlichkeit des einen und die schlechte Gesinnung des anderen zum Voraus zu kennen schien, griff die Sache so an: er ließ sich von beiden über das, was sie aussagten, eine feste und feierliche Versicherung geben und tat hierauf folgenden Ausspruch: „Demnach, wenn der eine von Euch 800 Taler verloren, der andere aber nur ein Päcklein mit 700 Talern gefunden hat, so kann auch das Geld des letzteren nicht das nämliche sein, auf welches der Erstere ein Recht hat. Du, ehrlicher Freund nimmst also das Geld, welches Du gefunden hast, wieder zurück und behältst es in guter Verwahrung, bis der kommt, welcher nur 700 Taler verloren hat. Und Du mein Freund mußt Dich gedulden, bis derjenige sich meldet der Deine 800 Taler findet.“ So sprach der Richter Ströter, und dabei blieb es.
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