Der Wind, der Wind…
Der „Old Farmers Almanac“ ist ein gut 250 Seiten starkes Büchlein im Kleinformat. Es erscheint jedes Jahr und enthält neben groben Wetterberichten und Sternenkonstellationen jede Menge anderer nützlicher Informationen für Farmer. Fast 60 Prozent der 18 Millionen Exemplare werden allerdings von Kunden gekauft, die nicht mehr als einen kleinen Garten haben – es scheint, nicht nur für Landwirte ist frühzeitige Kenntnis des Wetters interessant.
An der Wall Street wird häufig über das Wetter gesprochen. Manchmal nur im Rahmen eines freundlichen Small-Talks, schließlich kennt man sich auf dem Parkett. Manchmal müssen Regen und Sonnenschein aber auch zur Begründung aller möglichen konjunkturellen Trends oder als Rechtfertigung für gute und schlechte Absatzzahlen in Corporate America herhalten.
Das macht nicht immer Sinn. Der darbende amerikanische Einzelhandel beispielsweise beruft sich auffallend oft auf ungünstige Witterung, wenn schwache Umsatzzahlen zu entschuldigen sind. Mal ist es zu heiß und die Kunden zieht es in Scharen an den Strand, und mal regnet es so stark, dass Familien sich nicht aus dem Haus und schon gar nicht in die nächste Mall trauen. Besonders letzterer Punkt ist natürlich Quatsch – bei Regen sind die Ladenzeilen voll, und noch etwas gilt es zu beachten: Ein Unternehmen, dass seine Umsatzprognosen auf trockenes Wetter, ein leichtes Lüftchen und Außentemparaturen zwischen 18 und 25 Grad Celsius baut, ist vielleicht kein gutes Investment.
Hin und wieder wirken sich Wetter und Unwetter aber doch auf den Markt aus, und in der jüngsten Vergangenheit hat die Wall Street das gleich mehrfach zu spüren bekommen. Da waren einerseits die Wirbelstürme, die im Süden der USA Milliardenschäden an Häusern, Fabriken, Straßen und Autos angerichtet haben. Die Versicherungen müssen tief in die Tasche greifen, und auch Telefon- und Kabelbetreiber haben alle Hände voll zu tun, ihre Netze wieder zu reparieren.
Dass sich die Wirbelstürme von „Charley“ über „Ivan“ bis zu „Jeanne“ jeweils über Karibik und Golf von Mexiko ausbreiteten, hat Folgen auch für den Öl-Sektor. Die Produktion vor der südlichen Küste der USA ist nach wie vor stark eingeschränkt, neueste Erkenntnisse lassen eine Rückkehr auf volle Auslastung nicht vor dem Winter erwarten. Somit steigt wiederum der Preis von Öl, der sich letztlich – darüber ist bereits berichtet worden – auf nahezu alle Branchen niederschlägt.
Was wiederum den Farmer und den Anleger interessiert, sind die direkten Folgen der Wirbelstürme für die Plantagen im Süden. Den Zitrusbauern habe es in den letzten Wochen 66 Millionen Kisten Orangen verhagelt, heißt es im Erntebericht des Landwirtschaftsministeriums. Damit dürfte Orangensaft, der seit Sommer bereits einen Preisanstieg um 40 Prozent erfahren hat, noch einmal teurer werden – im Winter dürften nur noch Wohlbetuchte genügend Calcium zu sich nehmen.
Unklar ist, ob die Orangenernte bei frühem Wissen um die Wirbelstürme hätte gerettet werden können – allein, die Investoren an den Warenmärkten sind für frühe Indikatoren auf alle Fäller dankbar. In diesem Sinne: Der Almanach für 2005 rechnet mit einem Hurrikan Anfang September.
Lars Halter - © Wall Street Correspondents Inc.
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