Gute und schlechte Nachrichten aus dem Öl-Sektor
Gute und schlechte Nachrichten aus dem Öl-Sektor
„Gute Nachrichten“ meldet das amerikanische Börsenfernsehen am Donnerstagmorgen: „Der Ölpreis notiert im frühen Handel etwas schwächer.“ Nun ja, ein genauer Blick auf den zurzeit rapide steigenden Rohstoff zeigt immer noch fast ein Rekord-Hoch, doch nicht zuletzt der Mittwochsmarkt hat gezeigt, wie verzweifelt man inzwischen die Lage betrachtet.
Schließlich hatte die unerwartete Aktien-Rallye am Mittwochnachmittag vor allem einen Grund, und ein Blick auf den Börsen-Stundenplan beweist das: Die Aktien kletterten in dem Moment, als die Rohstoff-Börsen schlossen und der Preis für das schwarze Gold nach einer Rekord-Sitzung zumindest vorerst nicht mehr weiter steigen konnte. Dass das Barrell da bereits 42,90 Dollar kostete und damit soviel wie seit Einführung des Öl-Handels vor 21 Jahren nicht, ignorierte man geflissentlich. Anleger freuten sich einfach darüber, dass der kaum noch verfolgbare Index wenigstens für einen Moment innehalten musste.
Dass der Ölpreis nun am Donnerstagmittag um ein paar Cent unter dem historischen Hoch notiert, kann die Stimmung an der Wall Street nicht ernsthaft anfachen. Im Gegenteil: So lange sich der Rohstoffpreis nicht deutlich vom aktuellen Stand löst, haben Konjunktur und Verbraucher ein immenses Problem. Das mag sich zunächst vor allem an der Zapfsäule bestätigen – in New York kostet die Gallone Normalbenzin mittlerweile 2,19 Dollar –, trifft langfristig aber auch ganz andere Bereiche.
Ein guter Teil der US-Bevölkerung ist zur Zeit unsicher über den richtigen Zeitpunkt, das Heizöl für den Winter zu bestellen. Die Crux: Später im Herbst wird das Öl normalerweise saisonal bedingt teurer, ein früher Kauf ist also ratsam. Zurzeit ist aber unklar, ob der Preis bis zum Herbst noch einmal fällt und Kunden von einem kurzzeitigen Einbruch profitieren können, oder ob sie doch jetzt schon – so früh und so teuer wie nie zuvor – Lieferverträge abschließen sollen.
Wer nicht mit Öl heizt und lieber Fahrrad als Auto fährt, kommt an der Öl-Problematik auch nicht vorbei. Kaum eine Industrie in den USA kommt ohne den Rohstoff aus: Abgesehen von den üblichen Betroffenen aus der Flugbranche oder dem Plastik-Bereich klagen mittlerweile zahlreiche andere Sektoren: Die Pharmazeuten brauchen Öl beispielsweise zur Herstellung von Aspirin, Kaugummi-Hersteller kommen um den Rohstoff ebenso wenig herum wie die Produzenten von Computern, Taschenrechnern, Sonnenbrillen und Rasiercreme. Autoreifen bestehen zu einem guten Teil aus Öl, Regenschirme auch und nicht zuletzt die Herzkatheder, die einem immer mehr gestressten Volk langfristig das Überleben sichern sollen.
Als wären die Sorgen der Hersteller nicht genug, dürfen sich Kunden in absehbarer Zeit auch auf höhere Lieferkosten gefasst machen, schließlich werden Dokumente und Pakete über Land und über See auch nur mit herkömmlichen Flugzeugen und Lastwagen ausgeliefert – deren höheren Energieverbrauch dürften zahlreiche Unternehmen direkt auf den Verbraucher abdrücken.
Eine Verbesserung auf dem Öl-Markt zeichnet sich dieser Tage nicht ab. Dass der Rohstoff am Donnerstag etwas billiger handelt, mag an Nachrichten aus Russland liegen, wo der Förder-Gigant Yukos vorerst doch weiter produzieren darf. Doch ist die Zukunft des Unternehmens keineswegs gesichert, dass täglich 1,7 Millionen Fass fördert und damit etwa soviel wie Irak zumindest ab August wieder auf den Markt bringen will.
Der Irak hat indes eigene Probleme im Zusammenhang mit dem schwarzen Gold: Zerstörte Pipelines und die allgemeinen Auswirkungen des Krieges haben die Branche geschwächt. Die Produktion in den übrigen Staaten des Nahen Osten ist alles andere als bombensicher, außerdem laufen weiterhin Krisen in Venezuela und Nigeria, zuletzt sogar ein Streik in Norwegen.
Die ärgsten Phantasien der Auguren müssen sich dennoch nicht unbedingt bestätigen. An einen Ölpreis von bald 50 Dollar pro Barrell beispielsweise glaubt auch Bill Cashman nicht, der Manager des 3 Millionen Dollar schweren UMB Scout Energy Fonds, der größtenteils Aktien von Öl-Förderern und Öl-abhängigen Unternehmen hält. Zwar kommt auch der Experte ins Grübeln, nachdem trotz hoher Preise die Fahrgewohnheiten der Amerikaner nicht wechseln, doch glaubt er an ein „nur“ unverändert hohes Preisniveau auf Jahressicht und einen Preisrückgang im nächsten Jahr.
So lange indes, rät Cashman – welch ein Name für einen Fond-Manager! – zum Einstieg in Öl-Aktien. Andarko Petroleum habe große unangetastete Reserven, meint er, doch ist die Aktie im zurückliegenden Jahr auch von 40 auf 60 Dollar gestiegen. Hohe Dividenden machten unterdessen ExxonMobil, ChevronTexaco und vor allem ConocoPhilips interessant. Auf lange Sicht könnten indes die Bohr-Unternehmen profitieren, denen die hohen Gewinne der Produzenten zufließen werden. Unter ihnen sind Transocean und Atwood Oceanics.
Investoren in diesem Bereich könnten noch eine Zeit lang auf der Öl-Welle surfen, der Rest – darunter vor allem Konjunkturbeobachter – sieht den hohen Preis weiter mit Sorge. Und freut sich über jede kleine Nachricht, und an diesem Donnerstag eben auch über einen Preisrückgang um 40 Cent.
Lars Halter - © Wall Street Correspondents Inc.
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