Sentix Marktradar: „Die Krise ist nicht weg, sondern nur vergessen“
16.07.2012, 15:22 Uhr
Die Stimmung der Anleger hellt sich zwar auf, sie sehen nicht mehr ganz so schwarz für die Entwicklung der Aktienmärkte wie zuletzt. Doch die Gefahr ist noch lange nicht gebannt.
DüsseldorfDie Kurse steigen und damit auch die Laune der Investoren. Endlich, möchte man meinen, nach all den Wochen voller Trübsinn und ansteigenden Vertrauensverlusts. Die mittelfristige Stimmung der Anleger ist in der vergangenen Woche um fünf Prozent angestiegen. Das zeigt der Sentix Marktradar. Das Analysehaus befragt wöchentlich 3.500 Investoren und liefert so einen Einblick in die Psychologie der Börsianer. Die aktuelle Umfrage zeigt, dass es wieder mehr Marktteilnehmer gibt, die mit Blick auf die kommenden Wochen positiv für deutsche Aktien gestimmt sind. Ist das bereits die Wende? Geht es weiter aufwärts an den Märkten?
Patrick Hussy bremst die Euphorie: „Mehr als ein kleines Fünkchen Hoffnung ist daraus im Moment noch nicht abzuleiten – auch wenn der negative Trend der vergangenen Wochen erst einmal gestoppt ist“, sagt der Sentix-Experte. „Die mittelfristige Stimmung liegt nun auf der Nulllinie – Bullen und Bären halten sich somit die Waage.“ Der deutsche Aktienmarkt werde sich jetzt zwischen 6.600 und 6.700 Punkten beweisen müssen. „Gelingt dem Dax ein nachhaltiger Anstieg, könnte das Vertrauen der Anleger sich dauerhaft festigen, bei einem Dax-Stand unter 6.600 Punkten dürfte es aber schwierig bleiben.“ Schlimmer noch, dann rechnet er mit weiter fallenden Kursen.
Ein Grund für seinen Pessimismus ist der „Sentix Time Differential Index“, der die Differenz der mittelfristigen Wertwahrnehmung und der kurzfristigen Stimmung berechnet. Dieser Index notiert nahe Null und ist damit neutral. Für Hussy kein gutes Zeichen. „Beachtlich ist, dass bei Anlegern mit den Kursplus zum Wochenausklang keine Jubelstimmung aufgekommen ist, und das obwohl etwas an mittelfristigem Vertrauen aufgebaut wurde“, sagt er. „Der relativ neutrale Wert des Time Differential Index ist ein Hinweis darauf, dass Anleger den aktuellen Kursanstieg nicht verstehen und ihm auch nicht trauen.“ Sie wollen gute Argumente präsentiert bekommen, um wieder in Risikoanlagen wie Aktien zu investieren.
Für Verunsicherung sorgen auch die Dissonanzen an den Märkten, ist Hussy überzeugt. Während die deutschen Aktien beispielsweise ansprangen, weiteten sich die Risikoaufschläge für Anleihen aus Italien oder Spanien aus. „Die Krise ist nicht weg, sondern nur für einige Stunden vergessen oder verdrängt“, so Hussy. Die aktuelle Lage erinnert ihn an den vergangenen Sommer. Auch damals wurden Krisenherde über Wochen ignoriert. Als sie wieder ins Bewusstsein der Anleger drangen, ging es an den Börsen empfindlich abwärts.
„Anleger, die auf eine selektive Welt bauen und glauben, Deutschland wäre eine Insel der Glückseeligen, dürften dies auf kurz oder lang bereuen“, so Hussy. Er erwartet, dass die Konjunkturindizes für Deutschland – demnächst kommen der ZEW und der Ifo-Index – schwächer ausfallen werden. Und das könnte für Turbulenzen an den Märkten sorgen.
Hinzu komme, dass die Kurschancen für viele Investoren begrenzt scheinen, da nicht weit entfernt von den aktuellen Indexständen markante Widerstandsmarken warten. Die Welt schaue vor allem auf den S&P 500, der die Marke von 1.375 Punkten überwinden müsse, um sich freizuschwimmen, so Hussy. Beim Dax liegt die entscheidende Marke bei 6.700 Punkten und beim Euro Stoxx 50 bei 2.300 Punkten.
Dass die Anleger nach wie vor verunsichert sind, zeigt auch ihr Anlageverhalten. Investoren setzen vor allem auf Substanzwerte und meiden Wachstumswerte, wie die Sentix-Umfrage zeigt. „Eine Vorliebe für Value-Aktien ist immer in Stressphasen zu beobachten, wenn Anleger Sicherheit suchen“, sagt Hussy. „Wenn Growth favorisiert wird, liegt eine erhöhte Risikofreude vor.“
Davon kann derzeit keine Rede sein, der entsprechende Sentix-Index ist auf ein neues 24-Monatstief gefallen. „Anleger suchen Sicherheit und legen sehr selektiv in Aktien an – frei nach dem Motto ‚Gegessen wir immer‘, sind Werte wie Nestlé oder Mc Donald’s gefragt.“ Die Risikoneigung der Anleger sei derzeit unterdurchschnittlich.
Trotzdem gibt es aber jetzt einen kleinen Hoffnungsschimmer. Damit aus dem eine nachhaltige Wende an den Aktienmärkten wird, muss vor allem eines passieren: „Das Vertrauen in die Märkte muss zurückkehren“, sagt Hussy. „Nur wenn die Zuversicht sich weiter aufbaut, geht es wieder aufwärts.“ Für den Sentix Marktradar heißt dass, dass sich die mittelfristige Stimmung auch in den kommenden zwei oder drei Wochen ansteigen muss. Solange das nicht passiert, können die Sentix-Experten keine Entwarnung geben.
Die Sentix GmbH ist der führende Anbieter von Stimmungsindikatoren und Sentimentanalysen in Europa. Mehr als 3.500 Investoren beteiligen sich wöchentlich an den Umfragen, die einen umfassenden und zeitnahen Einblick in die Psychologie der Börse gewährt. Das sentix Marktradar durchleuchtet Woche für Woche, welche Sentimententwicklungen für die Märkte relevant sind. Erfahren Sie mehr unter
http://www.sentix.de