sonntag, den 05.06.2005
Jetzt nicht die Nerven verlieren Von Dr. Bernd Niquet Ich glaube, die wichtigsten beiden wirtschaftlichen Probleme der aktuellen Gegenwart sind kaum jemandem richtig bewusst. Aus meiner Sicht sind es die Folgenden: (1) Wir alle glauben, dass die Politik den Karren in den Dreck gefahren hat und fuer die gegenwaertige Malaise verant- wortlich ist, weil sie stets falsch gehandelt hat. (2) Wir alle glauben, dass die Politik, wenn sie nur rich- tig gehandhabt wird, die Dinge wieder deutlich zum Besseren wandeln kann. Ich halte beide Punkte fuer grundfalsch. Wir alle sind einer Politikillusion aufgesessen. Wir halten die Politik schlicht- weg fuer zu maechtig. Natuerlich kann die Politik in ihrem ureigenen Bereich sehr viel veraendern, wie wir nicht zuletzt an der Deutschen Einheit und am Euro sehen koennen. Doch auf die Marktergebnisse hat die Politik nur geringen Einfluss. Diese Marktergebnisse sind jedoch die entscheidenden Groessen in einer Marktwirtschaft. Sie legen die Hoehe der Beschaefti- gung fest - und sind damit die Ausloeser von Arbeitslosig- keit. In diesem Marktprozess kann der Staat die Rahmenbedingungen setzen. Ich denke, die Bundesrepublik nimmt hier weltweit eine fuehrende Rolle ein: Unsere Kapitalmaerkte sind voellig frei. Und die Waren- und Arbeitsmaerkte sind ebenfalls - an den historischen Standards der juengeren Vergangenheit gemes- sen - relativ liberal. Zudem hat die Bundesregierung die Steuern auf Kapital- und Unternehmenseinkuenfte radikal ge- senkt. Es bleibt die Buerokratie und die ganzen Verordnungen, die niemand mehr ueberblickt. Aber ist das in anderen Laen- dern so viel anders? Unsere herrschende Wirtschaftstheorie behauptet, dass die Maerkte alles richten werden. Und wenn dem nicht so, dann gibt es entweder ein Versagen der Maerkte oder ein Versagen der Politik. Und auf beidem wird derzeit rumgeritten wie es ansonsten nur die Kinder mit den Pferdefiguren auf dem Spiel- platz tun. Ich halte die These vom Marktversagen ebenso fuer falsch wie die vom Politikversagen. Unsere Maerkte sind nicht strangu- liert. Wer heute Arbeitnehmer neu einstellen will, der kann voellig frei Zeitvertraege und befristete Vertraege ab- schliessen, so dass er das Risiko der Dauer nicht zu tragen hat. Es bleibt das Politikversagen. Auch das halte ich fuer falsch, weil es sich aus einer falschen Theorie speist. Na- tuerlich belastet heute die Staatsschuld. Doch wer das be- klagt, beluegt sich gleichsam selbst. Denn wenn wir heute weniger Staatsschulden haetten, dann wuerden wir sie jetzt ausweiten. Doch gleichzeitig haetten wir die gegenwaertigen Probleme bereits viel frueher bekommen. Die Krux liegt ganz woanders: Die wirklichen Herrscher der liberalisierten Welt sind nicht die nationalen Politiken, sondern die internationalen Vermoegensmaerkte. Und hierauf hat die Politik nur einen bedingten Einfluss. Sie kann das Wasser in den Eimer fuellen, doch wenn die Pferde nicht sau- fen, dann kann sie nichts weiter tun. Die Politik kann nur die Rahmenbedingungen setzen, auf die Praeferenzen der inter- nationalen Kapitaleigner kann sie nicht einwirken. Beschaef- tigungswirksame Investitionen wird es hierzulande aber nur dann geben, wenn die in Deutschland hergestellten Produkte und Dienstleistungen hier auch abgesetzt werden koennen. Wer jetzt also die Mehrwertsteuer anheben will, gehoert ins Toll- haus der Oekonomie. Voellig egal, was er mit dem dadurch ein- gespielten Betrag alles Gutes machen will. Ich denke, wir brauchen jetzt keinen Aktionismus. Wir muessen uns zuerst einmal von den Illusionen verabschieden, dass die Politik die Dinge wieder richten kann. Sie kann es nicht. Die Probleme, die wir gegenwaertig haben, sind typische Probleme einer reichen und gesaettigten Volkswirtschaft. Wir brauchen keine neuen Gurus, sondern wir muessen schlichtweg lernen, nicht die Nerven zu verlieren und Verschlechterungen der Lage einfach durchzustehen. Wir werden reich bleiben, muessen je- doch unsere internen Probleme anpacken. Es waere jedenfalls unmoralisch, alleine aufgrund des Auftretens neuer Konkurren- ten im Osten Selbstmord machen zu wollen. Es schadet mir gar nichts, wenn mir der Kopf abfaellt, warum hat ihn Mutti nicht festgehalten. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Zitat:
Ich persönlich preferiere die Erhöhung der Mehrwertsteuer, weil sie die in Ostasien hergestellten Waren verteuert. Wenn man gleichzeitig von diesem Geld die deutschen Lohnnebenkosten sinken würde, dann wird das Ergebnis der chinesischen Arbeit teurer und unsere Arbeitskraft billiger. Weg von der Arbeitskraftbesteuerung und hin zur Konsumsteuer ist m.E. die richtigste Lösung für unsere Situation. Wir müssen wieder billiger werden, ohne daß unsere Gehälter stark absinken (für viele wäre dieses untragbar). |
Hi Tester,
so ganz kann ich Dir nicht folgen. Die Preisentwicklung wirkt sich auf jeden Geldbeutel aus; Konsumenten und Unternehmen unterliegen gleichermaßen der Teuerungsrate. Vor allem jedoch ist der Verbraucherindex (VPI) ein Indikator für alle private Haushalte, denn die Preisentwicklung bestimmt letztendlich was vom Einkommen gekauft und welchen Anschaffungen getätigt werden können. Gruß 621Paul |
Montag, 06.065.05
Die Herrschaft der Betriebswirte Die Volkswirtschaftstheorie ist ein komplexes Gebilde, das für die meisten Menschen schlichtweg zu kompliziert ist. Dass die Arbeitslosigkeit nicht auf dem Arbeitsmarkt entsteht, sondern aufgrund einer komplexen Verflechtung von Güter- und Vermögensmärkten, ist nicht nur für den durchschnittlichen Zeitungsredakteur ebenso unfassbar wie Einsteins Relativitätstheorie. Viel einfacher ist es daher, sich einer Hilfswissenschaft zu bedienen. Ein paar locker-flockige Theoreme heraus zu rotzen – und sich wie ein König zu fühlen. Aus diesem Grunde gibt es weltweit die Herrschaft der Betriebswirte. Denn Betriebwirt kann jeder Dumme werden. Hierzu muss man nur ein paar Unternehmensweisheiten lernen, sich jedoch nicht in ein in sich geschlossenes komplexes Geflecht wie eine volkswirtschaftliche Theorie hinein arbeiten. Die Herrschaft der Betriebswirte bedeutet dann auch, gesamtwirtschaftliche Fragestellungen einzelwirtschaftlich zu lösen. Das heißt: Die wichtigen Wechselwirkungen der einzelnen Elemente untereinander werden ausgeblendet, weil der Blick von oben auf das Ganze den Akteuren zu schwierig ist. Oder einfach nicht ins Konzept passen. Und anstelle dessen werden die Weisheiten des Hausvaters und Unternehmenslenkers auf die Gesamtwirtschaft übertragen. Im Endergebnis kommt dabei nichts anderes heraus als wenn eine Hausfrau die Mondlandung koordinieren müsste: Ein gigantischer Schiffbruch nämlich! Ein paar der übereinstimmenden Weisheiten von Hausvätern, Politikern, Hausfrauen und Betriebswirten habe ich im Folgenden angeführt. Sie sind in Anführungszeichen gesetzt. Anschließend habe ich angedeutet, wie eine alternative Sichtweise beziehungsweise eine volkwirtschaftliche Kreislaufbetrachtung dagegen aussehen würde. (1) „Ein Defizit des Staates hat eine negative Wirkung auf die Ökonomie.“ Das ist einerseits richtig, weil so ein großer Schuldner zusätzlich Kapital nachfragt, die anderen verdrängt und die Zinsen nach oben treibt. Gleichzeitig lassen die dadurch erhöhten Staatsausgaben aber auch die Wirtschaft wachsen. Eine Belastung späterer Generationen gibt es nicht, da sowohl die Pflicht zur Zahlung von Zins und Tilgung als auch das Recht, beide zu erhalten, weiter vererbt werden. (2) „Die Sanierung einer Volkswirtschaft hat über Kostensenkungen der Unternehmen zu geschehen.“ Kostensenkungen sind positiv für die Unternehmen. Da alle Kosten jedoch gleichzeitig Einkommen sind (volkswirtschaftliche Kreislauftheorie!) wird dadurch der Konsum geschwächt und die Gefahr einer Abwärtsspirale geschaffen. (3) „Arbeitslosigkeit entsteht auf dem Arbeitsmarkt.“ Am Arbeitsmarkt wird Arbeit angeboten und nachgefragt. Die Nachfrage der Unternehmen richtet sich jedoch nicht ausschließlich nach dem Preis der Arbeit, sondern in entscheidendem Maße nach den Absatz- und Gewinnerwartungen der Produkte, die mit der Arbeit erzeugt werden können. Hier spielen die internationalen Vermögensmärkte ebenso eine Rolle wie die globalisierten Gütermärkte. (4) „Investitionen können nur aus Ersparnissen entstehen.“ In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung müssen sich Ersparnisse und Investitionen stets entsprechen. Daraus kann man jedoch nicht auf die Kausalrichtung schließen. Zunächst einmal braucht man zum Investieren nicht Ersparnisse, sondern Geld. Die Investitionen führen anschließend die Ersparnisse selbst herbei, beispielsweise in Form von Kapitalaufstockungen seitens der Unternehmen. (5) „Für neue Arbeitsplätze brauchen wir Wachstum.“ Es gibt keine Wirtschaftstheorie, die das Entstehen von neuen Arbeitsplätzen an Wachstum koppelt. Auch empirisch gibt es nur bedingt Evidenz dafür. Auf jeden Fall ist diese Gesetzmäßigkeit eher intuitiv. Es ist die rein einzelwirtschaftliche Sicht. Ein einzelnen Unternehmen wird nur dann mehr Leute einstellen, wenn es auch mehr produzieren kann. In einem Gesamtsystem ist dem aber nicht unbedingt so. In der Neoklassik beispielsweise sind Preisrigiditäten für Arbeitslosigkeit verantwortlich, nicht zu geringes Wachstum. Und im Keynesianismus eine (vermögensmarktinduzierte) Störung der Einkommensbildung –also ebenfalls keine Wachstumsschwäche. Mit den besten Grüßen! Bernd Niquet |
Woher kommt die Arbeitslosigkeit ?
Von Dr. Bernd Niquet
Es gibt gerade in der heutigen Zeit viele Banalitaeten. Doch irgendwo hoert die Plattheit dann auch auf. Es ist nicht alles so, wie es auf den ersten Blick erscheint. Auch wenn die Medien uns das immer wieder versichern. Manche Dinge sind einfach komplizierter als der durchschnittliche Zeitungs- redakteur sie fassen kann. Woher kommt die Arbeitslosigkeit? Wo entscheidet sich die Hoehe unserer Beschaeftigung? In einer Marktwirtschaft werden alle Preise und Mengen auf Maerkten ermittelt. Der Preis fuer Tomaten und die Menge an Tomaten, die wir essen, ergeben sich auf dem Markt fuer Tomaten. Oder hoeher gefasst, auf dem Gemuesemarkt, auf dem Guetermarkt. Wo bestimmen sich die Menge und der Preis des Geldes? Genau, auf dem Geldmarkt. Und der Aktien und Festverzinslichen? An der Boerse, also auf dem Markt fuer Vermoegenstitel, dem Vermoegensmarkt. Doch wo entsteht die Arbeitslosigkeit? Guido Westerwelle sagt, auf dem Arbeitsmarkt. Angela Merkel sagt, auf dem Arbeitsmarkt. Edmund Stoiber sagt, sagt, auf dem Arbeits- markt. Gerhard Schroeder sagt, auf dem Arbeitsmarkt. Peter Hartz sagt, auf dem Arbeitsmarkt. Die Welt schreibt: Auf dem Arbeitsmarkt! Die FAZ schreibt: Auf dem Arbeitsmarkt! Der Spiegel schreibt: Auf dem Arbeitsmarkt! Die Wirtschaftsweisen sagen: Auf dem Arbeitsmarkt! Der Sachverstaendigenrat sagt: Auf dem Arbeitsmarkt! Also: Wer will dem etwas entgegensetzen? Und wenn die Arbeitslosigkeit tatsaechlich auf dem Arbeitsmarkt entsteht, dann muss sie auch dort bekaempft werden, muss man schlies- sen. Wir muessen also nur unseren Arbeitsmarkt kraeftig libe- ralisieren, dann werden wir bald eine bessere Beschaeftigung haben. Der Oekonom John Maynard Keynes hat das bereits in den Dreis- siger Jahren des letzten Jahrhunderts als Unsinn entlarvt. Erstaunlich, dass niemand davon mehr Kenntnis nimmt. Nicht nur erstaunlich ist das, sondern tragisch. Denn wer aus der Geschichte nicht lernt, ist gezwungen, sie zu wiederholen. Keynes ist heutzutage trivialisiert wie beinahe alles in unserer Gesellschaft. Dabei hat Keynes schon damals klar und deutlich gesagt: Arbeitslosigkeit entsteht NICHT auf dem Arbeitsmarkt. Im Grunde genommen ist diese Ueberlegung recht einfach, umso erstaunlicher, dass sie niemand begreift oder begreifen will: Die Unternehmen richten ihre Arbeitsnachfrage nach drei Groessen aus - dem Reallohn, der Absatzerwartung und den Finanzierungsbedingungen fuer Investitionen. Und von diesen drei Groessen hat nur eine halbe etwas mit dem Arbeitsmarkt zu tun, naemlich der Nominallohn. Der Reallohn ist bereits ein Marktergebnis, das sich aus dem Zusammenspiel diverser Maerkte ergibt. Es muss also nicht ein zu hoher Nominallohn die Schuld an einer zu geringen Arbeitsnachfrage tragen. Es kann auch ein zu niedriges Preisniveau sein. Oder zu schlechte Absatzbedingungen und zu unguenstige Finanzierungs- bedingungen sein. Die relevante Frage der Gegenwart sollte daher nicht lauten, wie man die (nominalen) Lohnkosten herunter bekommt, sondern warum es den Unternehmen anscheinend nicht gelingt, gewinn- traechtige Preise fuer ihre Produkte durchzusetzen und dabei diejenigen Mengen abzusetzen, die weitere Investitionen loh- nend machen wuerden. Dieser Kontext hat allerdings sehr viel mit den internationalen Gueter- und Vermoegensmaerkten und ueberhaupt nichts mit unserem heimischen Arbeitsmarkt zu tun. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
11:24 13.06.05
Wenn du nicht das machst, was ich will, sagt die Ehefrau, dann werde ich dich verlassen. Der Mann bekniet sie. Bitte, bitte, mach das nicht. Dann tue endlich das, was ich sage, entgegnet die Frau. Der Mann tut, was die Frau sagt. Die Frau bleibt. Sie hatte niemals wirklich vor zu gehen. Sie wollte nur ihren Mann zum Wurstel machen. Sie hat es ziemlich leicht geschafft. Ganz ähnlich läuft es derzeit in unserem Land zwischen den Unternehmen und Kapitalvertretern auf der einen und der Bevölkerung und der Politik auf der anderen Seite ab. Die Unternehmen und Kapitaleigner drohen mit dem Auswandern – und die Bevölkerung und die Politik lassen sich dadurch zum Wurstel degradieren. Das alles hat eine durchaus pubertäre Komponente, die allerdings sehr wirkungsvoll ist: Das haste nun davon wenn ich mir das Leben nehme. Warum haste dich nicht besser um mich gekümmert. Nach den Zahlen der Deutschen Bundesbank haben deutsche Firmen keinesfalls hierzulande Stellen abgebaut und woanders wieder aufgebaut. Von den zwischen 2002 und 2004 abgebauten Stellen sind weniger als fünf Prozent ins Ausland verlagert worden. Im Ausland sind jedoch netto keine neue Stellen aufgebaut, sondern ebenso wie im Inland abgebaut werden. Es wird also überall rationalisiert; es gibt jedoch – außer in den Berichten der Medien – keinen nennenswerten Trend zu Verlagerungen von Arbeitsplätzen. Doch was sind die nüchternen Zahlen gegen das öffentliche Gedröhne der sensationsgeilen Medien und frustrierten Ehefrauen?! Mit den besten Grüßen! Bernd Niquet |
Warum Märkte sozial sind
10:34 16.06.05 Die Globalisierung hat dem europäischen Sommer eine südamerikanische Spezialität gebracht. Jugendliche aus den Armeinvierteln Lissabons haben sich in großer Anzahl zusammengerottet und Badende an den portugiesischen Stränden überfallen. „Arrestao“ nennt man diese Überfalltaktik in Brasilien, bei der die am Strand Liegenden aufgescheut und zur sofortigen Flucht genötigt werden, so dass die jugendlichen Banden anschließend die zurückgelassenen Handtaschen, Geldbeutel, Handys und Schmuck wie Fische im Netz einsammeln können. Was hat das nun bloß mit der Börse zu tun? Wer es noch nicht gemerkt hat: Die Zeitungsmeldung, die ich dazu lese, beginnt mit den Worten: „Wie die Heuschrecken ...“ Der einzige Unterschied zwischen manchen Finanzmarktspekulationen und Arrestao ist, dass Ersteres legal und Letzteres verboten ist. Um Finanz- und Vermögensmärkte richtig verstehen zu können, muss die Markttheorie aus meiner Sicht deutlich erweitert werden. Finanzmärkte sind nicht nur ein effizientes Mittel zur Hervorbringung von Informationen und zur Allokation von Kapital, sondern auch eines zur Kanalisierung von Kriminalität und Terrorismus. Ich möchte mir lieber nicht ausmalen, wie es in der Welt aussehen würde, wenn nicht viele Menschen ihren Hass und ihre Gier an den Märkten legal ausleben könnten. In diesem Sinne sind Märkte also wirklich sozial. Mit den besten Grüßen! Bernd Niquet |
Wie in den Dreissiger Jahren?
Von Dr. Bernd Niquet Natuerlich ist heute sehr vieles voellig anders als zur Zeit der grossen Weltwirtschaftskrise in den Dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts. Und trotzdem sind einige Paralleli- taeten erschreckend. Ich sehe ich der Hauptsache Folgendes. (1) Damals wie heute hatten wir eine riesige Boersenhausse mit grotesker Ueberspekulation und anschliessendem heftigen Zusammenbruch. (2) Im Anschluss daran erlebten wir damals wie heute den Ein- tritt in ein deflationaeres Szenario - und dies beide Male in Verbindung mit einer extremen Fehlhaltung der Politik, zumin- dest hierzulande. In den Jahren nach 1929/1930 zeigte sich die Geldpolitik weltweit viel zu restriktiv. Einerseits konnte man aus den Fesseln des Goldstandards nicht heraus, andererseits wollte man auch gar nicht anders handeln. Der Schrecken hiess damals wie heute "Inflation", weswegen die einsetzende deflationaere Tendenz sogar freudig begruesst wurde. Niemand konnte sich jedoch tatsaechlich eine Deflations- spirale vorstellen. Damals wie heute. Und was die Geldpolitik in den Dreissiger Jahren verbockt hat, das verbockt heute die Fiskalpolitik. Wir versuchen, in der Krise das Budget zu kon- solidieren, reagieren auf sinkende Preise und Nachfrageaus- fall nicht mit einem Gegensteuern, sondern mit Kostensenkun- gen, die ihrerseits zu erneuten Preissenkungen und Nachfrage- rueckgaengen fuehren und weiter fuehren werden. (3) Als Reaktion darauf "fransen" die Raender unseres politi- schen Spektrums immer weiter aus. Damals wie heute. Man braucht kein Prophet zu sein, um prognostizieren zu koennen, dass die Union, die derzeit versucht, es allen recht zu machen, mindestens genauso so schwer scheitern wird wie die SPD. Derzeit formiert sich gerade eine neue Linke in der Folge des Schiffbruchs der SPD. Was wird jedoch 2009 (oder frueher) passieren, wenn die Union gescheitert ist? Die grossen Volksparteien waren stark im Aufschwung, weil sie die Faehigkeit gezeigt haben, die Interessen zu buendeln, jeden mitzunehmen, jedem etwas zu geben. In der Rueckwaerts- bewegung wird aus der damaligen Staerke nun jedoch eine Schwaeche. Denn die Volksparteien schaffen es nicht, das Fuellhorn zu schliessen und die Perspektive auf das wirklich Notwendige zu verengen. Alles, was weh tut, fuehrt zur sofor- tigen Abwahl und staerkt die grossen Illusionisten auf der linken wie rechten Seite. (4) Es gibt jedoch einen einzigen Garanten fuer die Stabili- taet unser gegenwaertigen Welt - und das sind die von so vie- len verhassten und kritisierten Vereinigten Staaten von Ame- rika. Die lockere Geldpolitik und das Leistungsbilanzdefizit der USA halten die halbe Welt wirtschaftlich ueber Wasser. Sie sind die Muttermilch, von der wir alle leben. Das ist der grosse Unterschied zu den Dreissiger Jahren des letzen Jahr- hunderts. Heute gibt es einen "Big Spender" und "Lender of last resort". Damals gab es das nicht, deswegen sind damals die Lichter ausgegangen. Heute gibt es das, deswegen sieht es heute vergleichsweise gut aus. Die grosse Frage ist daher, wie lange das so weitergeht. Meine Tochter hat vier Jahre gebraucht, um von der Milch- flasche wegzukommen. In Europa schreiben wir heute bereits das Jahr fuenf nach dem Crash. Bis heute ist alles gut gegan- gen. Bei einem so extremen Verhalten und einer so einseitigen Ernaehrung werden die Risiken jedoch jeden Tag groesser. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Sonntag, den 26.06.2005
Asymmetrische Regelungen Von Dr. Bernd Niquet Natuerlich ist es voellig uebertrieben und viel zu einfach, wenn jetzt von allen Seiten auf die Hedge-Fonds eingepruegelt wird. Doch die Hedge-Fonds stehen fuer eine ganz spezifische Geisteshaltung und fuer sehr extremes Verhalten, so dass sie sich durchaus als Vehikel fuer eine generelle Kritik eignen. Betrachtet man unsere Volkswirtschaften sowie das internatio- nale Finanzsystem, dann kann man eine eigenartige Regelstruk- tur feststellen. Die Regeln und Regulierungen sind extrem asymmetrisch verteilt - und dazu noch voellig umgedreht zu einem eigentlich wuenschenswerten System. Machen wir einmal den Vergleich mit einem Kindergarten, dann sieht man es am besten. Und so weit hergeholt ist das ja gar nicht. Hier existieren feste Regeln, was die Kinder duerfen und was nicht. Diese Regeln sind starr - und sie befinden sich auf der obersten Ebene. Es geht dabei um ganz elementare Dinge, um das Verhaeltnis zu den Erziehern und um Meta-Regeln fuer das Verhalten der Kinder untereinander. Was die Kinder dann jedoch im Kleinen machen, das ist voellig frei. Hier mischt sich normalerweise niemand mehr ein. In unserem Wirtschafts- und Finanzsystem hingegen ist es ge- nau umgekehrt. Hier wird der einzelne Buerger und das ein- zelne Unternehmen regelrecht zugeschuettet mit Regeln, die es zu befolgen gibt. Doch ganz oben, also auf der Meta-Ebene, auf der Ebene, in der es um das Ganze geht, gibt es hingegen ueberhaupt keine Regeln. Selbst Alan Greenspan hat das vor kurzem angesprochen. Die Risiken, die hier eingegangen wer- den, sind zu gross. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Und es werden Herdentriebe in Gang gesetzt, die mit den wirt- schaftlichen Gegebenheiten selbst nichts mehr zu tun haben. Die normale Aufgabe der Maerkte ist es, Informationen bereit- zustellen ueber die Gegenwart und die Zukunft, die wir ohne diese Maerkte niemals haben koennten. Daher brauchen wir die Maerkte, denn sie liefern die Signale, mit denen Marktwirt- schaften gesteuert werden. Funktionieren kann dies jedoch nur, wenn einzelne Marktteilnehmer oder auch Gruppen von Marktteilnehmern keinen signifikanten Einfluss auf die Preis- bildung haben. Wenn also jeder "Preisnehmer" ist, der die Preise akzeptiert - und danach sein Angebot und seine Nach- frage mengenmaessig ausrichtet. Tritt jedoch andauernd ein Herdenverhalten auf, indem grosse Interessengruppen immer noch mehr kleine Spieler anlocken, um durch das Starten eines Trends Geld zu verdienen, dann ver- liert das System seine Steuerungsfunktion. Und es kann rich- tig bedrohlich werden fuer das Gesamtsystem, wenn einer oder mehrere Reiter auf einem derartigen Trend einmal in Not gera- ten. Doch es ist alles erlaubt hier, alles was gefaellt. Wir haben es daher mit einer voellig "schiefen" Regelungslage zu tun. Wenn ich mich selbstaendig machen und einen Arbeit- nehmer einstellen moechte, dann muss ich bis zur Frage, wie viele Rollen ein Buerostuhl haben muss, Tausende von Regelun- gen beachten. Da das kaum jemand kann und will, gibt es immer weniger neue Selbstaendige. Moechte ich hingegen den Oelpreis in die Hoehe treiben, den Euro in den Keller schicken, ein Unternehmen abstrafen oder eine Zentralbankpolitik konter- karieren, dann habe ich jede Freiheit der Welt dazu. Doch so kann unsere Welt auf Dauer nicht funktionieren. Wir muessen gleichzeitig den einen Regelungswust abbauen und da- fuer in anderen Bereichen anfangen, Grenzen zu setzen. Das muss man bei den Kindern auch. Ansonsten tanzen sie einem auf der Nase herum. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Hausse verpasst?
09:41 29.06.05 Es ist immer interessant, zu sehen, wie tendenziös die Berichterstattung über die Märkte ist – ganz nach Gusto. Denn hier greift die Pointe noch gründlicher um sich als an den Märkten selbst. Die neueste Story ist: Die Privatanleger haben die Hausse an den Aktienmärkten verschlafen. Dazu lese ich folgenden Text, dessen Quelle ich nicht kenne und die auch nicht wichtig ist: "Privatanleger, sagt Franz-Josef Leven vom Deutschen Aktieninstitut in Frankfurt, hätten die Hausse total verschlafen. Nach Angaben des Bundesverbands Investment und Asset Management (BVI) in Frankfurt hätten Privatanleger in den ersten fünf Monaten des Jahres netto 3,6 Milliarden Euro aus Aktienfonds abgezogen. Im Gegenzug hätten sie unterm Strich 15,2 Milliarden in Rentenfonds investierten - mehr als jemals zuvor.“ Nun gut, irgendjemand muss die Hausse immer verschlafen. Wenn nicht die einen, dann die anderen. Alle können die Hausse niemals mitmachen. Doch kann man die obigen Zahlen tatsächlich als Zeichen eines Versagens interpretieren? Die Kleinanleger haben Aktien verkauft – und eine mittelmäßige Hausse verpasst. Dafür haben Sie überproportional Renten gekauft – und dadurch die größte Hausse der Geschichte am Bondmarkt sehr effizient gespielt. Viel cleverer kann man es nicht machen. Doch so langsam sollte man beginnen, die Positionen deutlich zu reduzieren. Bald müssen alle Bonds in den Händen der Bagholder sein. Mit den besten Grüßen! Bernd Niquet |
Europa im Sommer
Von Dr. Bernd Niquet Von allem befreit ein paar Tage an der Kueste. Fuer Politik muss man sich nicht mehr interessieren. Es weiss zwar noch niemand, ob es Neuwahlen gibt, aber jeder weiss, wie diese ausgehen werden. Doch es ist voellig einerlei. Die Neue Re- gierung macht das Gleiche wie die alte, egal welche es ist. Dieses Einerlei befreit. Auch an die Boerse muss man nicht denken. Sie steigt mit schoener Regelmaessigkeit weiter in die Hoehe. Der Triumph der Finanzen ueber die Politik koennte nicht ueberzeugender ausfallen. Wer jetzt keine Aktien hat, wird lange keine haben. In der Wirtschaft weitet sich die Regentschaft des Hamster- rades aus. Wer nicht Ferien macht, muss strampeln, um sein Leben strampeln. In Holland ist ein ganzes Land "te huur" und "te koop". Verhuren und auf den Kopf hauen? Nein, zu mieten und zu kaufen. Ausdruck wirtschaftlicher Schwaeche oder von Ueberspekulation im Immobilienmarkt? Am Meer ist es erstaunlich leer. Auch ein Anzeichen wirt- schaftlicher Schwaeche - oder sind die Menschen alle in der Karibik? Normale Ferien gibt es nicht mehr. Es muss rund um die Uhr getrunken, gegessen und sich amuesiert werden. Das Hamsterrad muss laufen - volle Geschwindigkeit voraus. Der ganze Strand ist gesaeumt von Restaurant-Buden. Doch das reicht nicht: Bei Ebbe fahren von Treckern gezogene Verkaufs- wagen den Strand entlang, halten, es wird die Glocke geschla- gen: Noch ein wenig Appetit? Geht noch ein wenig Lust hinein? Noch ein Beduerfnis unbefriedigt? Wer kein Eis oder Fischbroetchen in der Hand hat, der haelt ein Segel zum Surfen. Die anderen fliegen oder reiten auf der Banane. Die schoenen Jahre gehen so schnell vorbei. Die Jugend wirkt gelangweilt, luemmelt sich auf Stuehlen und Liegen, ist jedoch ausgesprochen hoeflich. Der Protest als Attituede, im tiefsten Inneren eine formbare Masse. Das Handy als Minifest der persoenlichen Freiheit. Waechst Europa zusammen? Waechst die westliche Welt zusammen? Amerikaner reden doppelt so laut wie Europaeer. Die meisten wirken wie grosse Kinder. Wie lange werden sie noch das Sagen haben? Die Hollaender haben die europaeische Verfassung abge- lehnt. Wer in Amsterdam auf dem Fahrplan nach Zuegen sucht, die die Landesgrenzen ueberschreiten, ist auf einen Extra- Plan verwiesen. "Internationale Zuege" steht da, es ist nicht mehr als eine Hand voll. Erstaunlich fuer ein Land im Zentrum Europas. An der Grenze muss der Zug die Lok wechseln wie auf dem Weg nach Moskau. Die Spurbreite stimmt zwar ueberein, doch die Stromsysteme sind verschieden. Man kann sich ueber alles aufregen und muss dies dennoch ueber nichts. Es ist wie eine riesige Kaeseglocke, die ueber uns allen haengt. Die grossen Konflikte liegen lange hinter uns. Oder ist schlichtweg einfach Sommer? Wohl dem, der we- nigstens im Sommer keine anderen und wirklich brennenden Sor- gen hat. Und selbst wenn es brennt - in 999.999 von einer Millionen Faellen brennt es bei jemand anderem und nicht bei einem selbst. Dann kann man sich schon gruseln vor dem Fern- seher - und denkt: Wie gut es uns doch geht. Doch dann guckt man hinunter: Der Bauch ist zu dick, die Fuesse geschwollen, die Braeune nicht ueberzeugend. Kann man mit dem eigenen Urlaub bestehen? Muss man nicht eigentlich unzufrieden sein? Aber bald ist Herbst, da ist man es so- wieso. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Angela Merkels Brezel-Strategie
Von Dr. Bernd Niquet Am Sonntagnachmittag kehre ich mit dem Fahrrad von einer schweren Bergetappe zurueck und fahre die kleine Strasse am See entlang. Auf dem Fussweg kommt mir eine Frau entgegen. Schon von weitem sehe ich, dass sie sehr attraktiv ist. Eine Frau, hier und jetzt, alleine? frage ich mich. Und dann spiele ich intern das Spielchen, das ich sehr oft bei aehn- lichen Gelegenheiten spiele: Was wird sein, wenn man sich be- gegnet? Wird man sich angucken, sich nicht beachten, weg- schauen? Als ich kurz vor ihr bin, spricht sie mich an. Vor Schreck falle ich fast vom Rad. Was Sie mir sagt, bleibt mir fest im Gedaechtnis. Sie sagt: "Brezeln, frische Brezeln." Selbst am Sonntag bei der unverdaechtigsten aller Taetigkei- ten dominiert also bereits das Oekonomische. Diese Frau, denke ich, hat also ein Gewerbe angemeldet, eine Steuernummer beim Finanzamt beantragt, besitzt detaillierte Kenntnisse im Steuerrecht, ist Mitglied der Berufsgenossenschaft, hat die Arbeitsschutzverordnungen gelernt, zahlt Beitraege bei der IHK und hat dann Brezeln eingekauft. Im Grosshandel fuer ei- nen mittleren zweistelligen Cent-Betrag. Und jetzt verkauft sie sie fuer vielleicht zwei Euro. Das ist eine Gewinnspanne, die kein traditionelles Industrieunternehmen erzielt - und von der selbst die New Economy nur traeumen kann. Und ploetzlich begreife ich: Genau das scheint es zu sein, was Angela Merkel mit uns machen will. Wir muessen alles tun, damit neue Jobs entstehen. Das ist Deutschlands Zukunft. Und Deutschlands Zukunft heisst: Wir gehen den Weg der Amerikaner nach - und beschaeftigen uns gegenseitig dadurch, indem wir uns gegenseitig Brezeln, Plunderstuecke und Whopper verkau- fen. Und zwar so lange, bis wir selbst wie Brezeln, Plunder- stuecke und Whopper aussehen. Anschliessend lassen wir uns dann etwas anderes einfallen, verpflichten die Brieftraeger, in jeden Briefschlitz dieses Landes taeglich mindestens zwei Kreditkarten einzuwerfen, verdoppeln die Eigenheimpauschale und beginnen ebenfalls mit dem grossen Immobilienroulette. Selbst die Mehrwertsteuererhoehung bringt dann keinen Schaden mehr, wenn die Brezel immer zwei Euro kostet. Das bringt zwei grundsaetzliche Fragen auf: Was macht eigent- lich ein Land und eine Bevoelkerung reich? Und wie entstehen Arbeitsplaetze? Arbeitsplaetze entstehen, wenn etwas verkauft werden kann, wobei sich ein Ueberschuss der Erloese ueber die Kosten er- gibt - oder zumindest an ein Entstehen eines derartigen Ueberschusses geglaubt wird. Reichtum hingegen entsteht nur dann, wenn mehr produziert als verbraucht wird. Wenn also auf der einen Seite die Unternehmen Teile ihrer Erloese in neue Anlagen stecken und andererseits die Haushalte Teile ihres Einkommens sparen. Wird hingegen mehr verbraucht als produ- ziert und mehr konsumiert als verdient, dann entsteht Verar- mung. Es gibt mithin zwei Moeglichkeiten, Arbeitsplaetze zu schaf- fen: Einmal in Verbindung mit der Schaffung vom Reichtum - und ein anderes Mal mit Verarmung. Der erste Weg ist der asi- atische Weg. Der zweite der amerikanische. Wir Europaeer ste- hen in der Mitte. Was sollen wir tun? Sollen wir Merkels Bre- zel-Weg gehen? Oder sollen wir nicht eher kaempfen und uns gegen die vermeintliche Zwangslaeufigkeit unseres (amerikani- schen) Schicksals stellen? ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Was eigentlich erforderlich waere
Von Dr. Bernd Niquet Nehmen wir einmal an, wir haben eine Flasche mit Apfel- und eine mit Birnensaft. Der Birnensaft kostet die Produktions- kosten plus den Gewinnaufschlag - und der Apfelsaft zusaetz- lich noch eine Steuer von 30 Prozent, Krankenkassenbeitraege fuer die Apfelpfluecker, Altersabsicherung fuer die Apfel- baeume sowie eine Nicht-Herunterfallpraemie fuer die einzel- nen Aepfel. Es ist nicht schwer zu erraten, wie es auf den Maerkten fuer Apfel- und Birnensaft aussehen wuerde. Es wird bald kaum noch Apfelsaft geben, der Birnensaft hingegen wird unsere Muender nur so fluten. Die gleiche Situation finden wir auf den Maerkten unserer Re- publik wieder. Es gibt zwei wichtige Produktionsfaktoren, die gleichzeitig die Quellen unseres gesamten Einkommens sind - naemlich Arbeit und Kapital. Waehrend die Arbeit mit hohen Steuern und Sozialabgaben belastet ist, ist das Kapital von Sozialabgaben sowieso befreit und steuerlich entweder voellig von jeder Abgabenpflicht freigestellt oder in extremer Weise subventioniert. Kann sich angesichts dieser Situation eigentlich noch jemand wundern, dass das Kapital ueberall im Ueberfluss vorhanden ist und derzeit selbst die letzte Anlage-Nische mit dickem Strom ueberschwemmt, wohingegen die Arbeitsplaetze immer wei- ter verschwinden? Eigentlich kann sich da niemand wundern. Und trotzdem scheinen sich alle zu wundern, was das wirkliche Wunder der aktuellen Gegenwart ausmacht. Ein gerechtes und effizientes Steuersystem verlangt eine Be- steuerung nach dem Reinvermoegenszugangsprinzip. Das heisst: Alle Vermoegenszuwaechse, sei es durch Einkommen oder durch realisierte Gewinne auf Vermoegen, sind zu besteuern - und zwar in gleicher Hoehe. Davon sind wir gegenwaertig aller- dings weiter entfernt als das Raumschiff Discovery von der Erde. Die aktuelle Situation ist vielmehr: Diejenigen, die vom Arbeitseinkommen leben, werden geknebelt und ausgepluen- dert wie die Sklaven. Und diejenigen, die ueber Vermoegens- einkuenfte verfuegen, werden hofiert wie die Feudalherren. Arbeitseinkommen werden belastet mit voller Einkommensteuer, Sozialabgaben, Krankenkassenbeitraegen. Und wer als Arbeit- geber auftritt, zahlt zusaetzlich noch IHK-Beitraege, Gewer- besteuer und diverse sonstige Abgaben. Wer hingegen sein Ver- moegen einsetzt, der bleibt bei realisierten Kursgewinnen nach einen Jahr voellig steuerfrei. Dividenden werden nur mit dem halben Satz besteuert, und kommt die Union an die Regie- rung, wird es bei den Zinsen eine aehnliche maue Regelung ge- ben. Vor allem: Hier ist nichts an die Gemeinschaft zu ent- richten, keine Sozialbeitraege, keine Krankenkassenbeitraege, nix. Das lastet man alles der Arbeit auf. Wir subventionieren also das Kapital und bestrafen die Ar- beit. So koennen keine Arbeitsplaetze entstehen. Was eigent- lich erforderlich waere, ist, die Steuer und die Abgaben auf Arbeit radikal zu senken - und gleichzeitig das Kapital (zu den dann gemaessigten Saetzen) voll zu besteuern und sozial- abgabenpflichtig zu machen. Ich hoere natuerlich sofort den Aufschrei. Das Kapital wuerde fluechten, unsere private Al- tersversorgung behindert ... Doch sind die Punkte stichhal- tig? Tatsache ist, dass eine private Altersvorsorge nur aus versteuertem Einkommen gespeist werden kann. Gibt es keine Jobs und wird das Einkommen weitgehend weggesteuert, dann bleibt ueberhaupt nichts uebrig, um es zurueckzulegen. Alle Kapitalsubventionierung fliesst somit denjenigen zu, die ohnehin schon ueber ein gutes Vermoegen verfuegen. Die gegen- waertige Regelung bevorzugt diejenigen, deren Alter bereits abgesichert ist und behindert diejenigen, die dies erst noch machen muessen. Das kann nicht so weiter gehen. Und die Kapitalflucht? Die Auslaender, die den Kapitalmarkt hierzulande bereits dominieren, treffen diese Regelungen ohnehin nicht. Und die anderen? Die grossen Vermoegenden? Die reden doch dauernd von der Sanierung unseres Landes. Da wer- den sie sich doch nicht verweigern koennen, die Loehne wieder bezahlbar zu machen. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Die groesste aller Blasen
Von Dr. Bernd Niquet Wir gehen jetzt also alle zugrunde. Nichts funktioniert mehr in diesem Staate, hoert man von ueberall her. Und dass wir vor der Verarmung stuenden. Ob wohl bald schon der Hunger regier? Ich habe ein interessantes Selbstexperiment vorzuschlagen: Gehen Sie einmal voellig nuechtern und mit dem festen Vorsatz, an diesem Tag weder zu essen noch zu trinken, auf eine oeffent- liche Veranstaltung, vielleicht auf ein Open-Air-Konzert oder ein Volksfest. Was ihnen dort passiert, wird sein: Es draengen sich ihnen ein paar Naturgesetze auf, nach denen unser gesamtes Leben zu funktionieren scheint. Eines dieser Naturgesetze ist: Das menschliche Dasein strebt danach, so viel wie moeglich ins sich oder in andere hineinzustecken beziehungsweise in sich selbst hinein gestopft zu bekommen. Dies ist die Gravitation, die unser Leben bestimmt. Die liberalisierte Marktwirtschaft hat mittlerweile alle Reibungswiderstaende abgebaut, so dass die Gravitation jetzt zur vollen Wirkung kommt. Daraus ergibt sich eine faktische Schichtung des Lebens: So lange es etwas zu essen und zu trinken gibt, tritt alles andere in den Hintergrund. Wo frueher gelauscht und ge- schnuppert wurde, da wird heute brutal gestopft und ge- schuettet. Und das hat ja auch seine Folgerichtigkeit in der heutigen Zeit, schliesslich muss doch immer und ueberall alles in guten Zahlen ausgedrueckt werden koennen. Was anderes ist denn unsere Dienstleistungsgesellschaft? Jeder muss den anderen etwas verkaufen, was diese in sich (und ersatzweise in deren Besitztuemer wie Haus, Auto oder Partner) hinein- stecken koennen. Und was sich zaehlen, messen, wiegen und in Zahlen quantifizieren laesst. Alles andere hat keine Bedeutung mehr. Auf den Punkt gebracht: Wenn jeder Mensch autonom und vernuenftig leben wuerde, dann braeche unsere gesamte Wirtschaft in sich zusammen. Deswegen sollten wir uns auch nur auf das Beobachten konzentrieren und nicht zu viel herummaekeln und kritisieren. Denn das waere wirklich das Schlimmste, wenn alles zusammenbrechen wuerde. Eine Ueberflussgesellschaft kann nur von Unvernunft leben, also froenen wir dem Ueberfluss! Die wirkliche Blase unseres Wirtschaftssystems ist also eine riesige Fettblase. Und wir alle tragen sie mitten im Gesicht, am Bauch und auf den Oberschenkeln. Doch diese Fettblase ist kein Menetekel. Sie weist nicht auf Risiko und Gefahr, wie das bei anderen Blasen - zum Beispiel am Aktienmarkt - der Fall ist. Nein, sie weist vielmehr auf die exzellente Funktion des Systems. Wir alle stopfen wesentlich mehr in uns hinein als wir vertragen koennen. Und das ist auch gut so. Wuerden wir Schluss machen, wo es die ausserwirtschaftliche Vernunft fordert, dann waere das Ende laengst da. Die voellige Freisetzung des Konkurrenzmechanismus durch die Liberalisierung aller Maerkte treibt uns immer weiter an. Wer erfolgreicher sein will als die anderen, der muss weiter, schneller und tiefer stopfen als diese. Die Wirtschaft kann nur wachsen, wenn in uns alle immer mehr hinein geht. So ist das - alles laeuft nach einer erstaunlichen naturgesetzlichen Zwangslaeufigkeit ab. Deswegen hilft auch kein Wahlprogramm keiner Partei, weder eines dafuer noch eines dagegen. Wir haben keine Alternative. Ausser das Platzen. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Mentalitaetsunterschiede - oder: Nilpferd auf Nilpferd
Von Dr. Bernd Niquet Es ist nicht leicht, das alles auf die Reihe zu bekommen. Einerseits waechst die Welt immer schneller zusammen, wird alles in quantitativen Groessen vergleichbar gemacht und in Kategorien wie Einkommen, Konsum und Ersparnis auf einen Nenner gezwungen. Andererseits sind die Unterschiede, die sich hinter dieser Fassade verbergen, so gross wie eh und je und damit beinahe unueberwindlich. Eben noch lese ich auf der Internetseite des Manager-Magazins einen sehr instruktiven Bericht "Die USA im Shopping Fieber". Es geht um ein Paar in einem 300-Quadratmeter-Haus, zusammen mit Sohn und Dackel. Sie sitzen auf der Terrasse mit Heiz- strahlern gegen die Abendkuehle und elektrisch verstellbaren Blenden gegen die Mittagssonne. Die Frau nennt Shopping als ihr Hobby. Beide halten Konsum fuer eine patriotische Pflicht und haben sich nach dem Anschlag auf das World Trade Center einen Tennisplatz gebaut und ein neues Auto bestellt, um die amerikanische Wirtschaft zu unterstuetzen. Ich weiss nicht, ob man das glauben kann, doch die Kehrseite dieser Medaille ist auf jeden Fall, dass beinahe jegliches Vermoegen hoch kreditbelastet ist. Es gibt zwar eine positive Nettoposition des Vermoegens gegenueber den Schulden, doch es fragt sich, wie - und zu welchem Preis - diese im Altersfall einmal zu liquidieren ist, um davon den Lebensunterhalt zu bestreiten. Allgemein ausgedrueckt: Ist der Konsum der Gott, dann bleibt nichts (anderes) mehr uebrig. Denn du sollst keine anderen Goetter haben neben mir - so heisst es doch. Etwas angewidert wende ich mich ab. Sind wir vermeintlich so verqueren Deutschen da nicht irgendwie klueger? Und ueber- legen? Geht es uns nicht um ganz andere Werte, ja um Werte ueberhaupt? Auf jeden Fall: Eine Welt, in der sich alles nur um den Konsum dreht, das kann nicht unsere Welt sein. Mit diesen Gedanken im Kopf gehe ich mit meiner Tochter in den Berliner Zoo. Vor dem Nilpferdhaus steht ein grosses aus Bronze gegossenes Nilpferd, das an vielen Stellen bereits blankgescheuert ist von den Schuhen und Hosenboeden der dar- auf wild herumkletternden Kindern. Beachten Sie an dieser Stelle bitte die Metapher: Das Geschehen an den Weltmaerkte und die wild herumturnenden Kinder. Alles ist einerseits voellig chaotisch, andererseits trotzdem geordnet - eine riesige, sich stets wandelnde spontane Ordnung. An diesem Tag ist jedoch alles anders. Eine ziemlich dicke Frau hat drei Kinder auf dem Nilpferd platziert und will sie nun in aller Ruhe fotografieren. Mit bemerkenswerter Gemuets- ruhe gibt sie Regieanweisungen, die Kinder moegen doch bitte versetzt sitzen, damit man jedes von ihnen besser sehen kann. Zudem sollten nicht so dumme Gesichter gemacht werden. Als das alles verwirklicht scheint, greift sie langsam zu ihrem Fotoapparat. Ich stelle mir unweigerlich vor, die Frau waere das weibliche Pendant zu Loriots Dr. Mueller-Luedenscheid und erklaere dem genervten Sozialarbeiter, dass sie mit dem, was er ihr anbietet, nun wirklich nicht ihren Beduerfnissen ent- sprechend leben koenne, weshalb man doch in aller Ruhe einmal konstatieren muesse, dass die Gesellschaft in dieser Hinsicht voellig versagt habe. Mittlerweile haben sich neben dem Nilpferd mehrere Gruppen mit vielen Kindern angesammelt, die ebenfalls das Nilpferd erklimmen wollen. Aus Taktgefuehl werden diese Kinder jedoch zurueck gehalten. Als die Frau nunmehr allerdings ankuendigt, dass jetzt noch Einzelfotos von jedem der drei Kinder ge- schossen werden, platzt einem Vater der Kragen und er gestat- tet seinen Kindern, ebenfalls das Nilpferd zu erklimmen. An- schliessend zueckt auch er seinen Fotoapparat. Die dicke Frau kann in diesem Moment die Welt nicht mehr ver- stehen. So etwas hat sie noch niemals erlebt - nicht einmal von einem aufmuepfigen Mitarbeiter des Sozialamts. Das nor- male Chaos dieser Welt soll ihre Kreise stoeren? Nein, das kann nicht sein, das darf nicht sein. Schnell entscheidet sie sich, was nun zu tun ist. Ihre Maxime lautet: Wenn ich nicht bekommen darf, was ich will, dann sollen die anderen es auch nicht haben. Spricht es und wuchtet den uebergewichtigen Koerper ohne Ruecksicht auf den Verlust von Kinderhaenden, die sich am Nilpferd festhalten, um nicht herunter zu fallen, auf den Koloss hinauf. Nun thront das eine Nilpferd auf dem anderen und verkuendet lauthals: So, jetzt koennt ihr schoene Fotos machen! Wissend, dass jeder Mensch, der seinen Verstand und vor allem seine Aesthetik noch nicht voellig verloren hat, Abstand von seinem Unterfangen nehmen wird. Denn der Preis eines Fotos ist jetzt schlichtweg zu hoch, da dieses Monstrum dann ebenfalls darauf verewigt wird. In diesem Moment erscheint - ploetzlich und wie von Geisterhand gezeichnet - ueber dem Kopf der dicken Frau eine Sprechblase, auf der alle Umherstehenden in Gross- buchstaben lesen koennen: WENN ICH ES NICHT HABEN KANN, DANN SOLLT IHR ES AUCH NICHT HABEN. Entsetzt hebt daraufhin der Vater seine Kinder vom Nilpferd und wendet sich ab. Wir verlassen ebenfalls den Ort des Ge- schehens. Einige Umstehende applaudieren der Frau. Endlich hat es wieder einmal jemand der Welt gezeigt. Ich drehe mich noch einmal um, sehe die beiden Nilpferde aufeinander und muss unwillkuerlich lachen. Dabei ist mir eigentlich gar nicht zum Lachen zu Mute. Die Amis mag ich nicht, aber jetzt habe ich den Eindruck, dem typisch Deutschen mitten ins Ant- litz gesehen zu haben. Es wird langsam Abend, doch es ist noch hochsommerlich warm. Mich hingegen froestelt es. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Ein Lob auf die Buerokratie
Von Dr. Bernd Niquet Wenn etwas nicht so funktioniert, wie man es gerne haben will, dann ist es immer angenehm, wenn man einen Schuldigen ausmachen kann, der mit einem selbst nicht identisch ist. Ein beliebtes Opfer aller Scheiternden dieser Welt ist die Poli- tik. Und natuerlich die Buerokratie. Sie eignet sich ganz be- sonders fuer deutsche Weinerlichkeiten jeglicher Art. "Mammi, Mammi", schreit da der Unternehmer, so dass es durch den Wald hindurch im ganzen Land zu hoeren ist, "es schadet mir gar nichts, wenn mir die Haende frieren. Warum kauft mir Pappi auch keine Handschuhe." Weinerlichkeit in Verbindung mit Masochismus - und anschliessend geschuettelt mit etwas Weltverschwoerung und einer Prise vermeintlich gesundem Men- schenverstand. Das ist der Cocktail, der uns Deutschen am besten mundet. Klarer Fall natuerlich, dass wir diesen Cock- tail heimlich zu uns nehmen, also heimliche Trinker sind. Denn so etwas wuerden wir niemals zugeben. Die Welt hat sich durch die Globalisierung in den letzten zehn, fuenfzehn Jahren vollkommen veraendert, doch die Schul- digen sind fuer uns die Gleichen geblieben. Bleiben wir bei der Wirtschaft: Die Politik, einst so maechtig, nationale Waehrungs-, Wachstums- oder Beschaeftigungspolitiken durchzu- fuehren, ist von der Regentschaft der globalen Maerkte voll- ends entmachtet worden. Und trotzdem wird ihr die Schuld hierfuer zugewiesen. (Was natuerlich durchaus folgerichtig ist, da von den frueheren Allmachtstraeumen kein Abstand ge- nommen wurde. Das allerdings relativiert diesen gleich dop- pelten Irrtum keineswegs.) Und die Buerokratie? Sie ist von jeher die Verkoerperung eines verhassten Obrigkeitsdenkens. Doch seitdem es keine Obrigkeiten mehr gibt, seitdem das Normalniveau der Welt- maerkte und Welt-Finanzmaerkte unsere Geschicke lenkt, muesste es da nicht auch ein Umdenken geben? Davon ist aller- dings weit und breit nichts zu sehen. Alle schimpfen genauso wie vorher auf die Buerokratie. Der einzige Unterschied ist, dass sie heute zusaetzlich noch auf die Globalisierung schimpfen. Doch ist das eigentlich konsistent, wenn wir uns bei der Bedienung des Restaurants beschweren, dass die Suppe, die wir gerade essen, eigentlich viel zu salzig ist, an man- chen Stellen hingegen zu wenig gewuerzt? Im Brockhaus ist die Buerokratie als Verwaltungsform defi- niert, "... die durch eine hierarchische Befehlsgliederung (Instanzenweg), durch klar abgegrenzte Aufgabenstellungen, Befehlsgewalten, Zustaendigkeiten und Kompetenzen ... sowie durch genaue und lueckenlose Aktenfuehrung saemtlicher Vor- gaenge gekennzeichnet ist." Ist das nicht wunderbar? Ein Hort der Stabilitaet und Ordnung in einer voellig chaotisch gewor- denen und von der Dynamik des Zauberbesens zerfetzten Welt! Doch es ist ja alles nicht bezahlbar, so hoert man immer wie- der. Die Buerokratie frisst das Geld auf, was wir anderswo so dringend brauchen. Wer so etwas sagt, ist jedoch selbst noch nicht angekommen im Heute, schliesslich wissen wir heute, dass alle Kosten spiegelbildlich auch Einkommen sind. Natuer- lich gibt es ueberall auch Auswuechse. Doch sind die Aus- wuechse der Maerkte nicht viel schlimmer als diejenigen der Buerokratie? Dieses taegliche Trommelgewitter an Werbebot- schaften, zu hohen Lohnkosten, Marktpreisen, staendiger Er- reichbarkeit und voelligem Orientierungsverlust. Welche Hoff- nung dagegen in einer verstaubten Amtsstube! ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Warum heute alles anders ist
Von Dr. Bernd Niquet Viele Dinge sind isoliert betrachtet nur schwer zu verstehen. Warum sind heute die Zinsen so niedrig? Warum die Arbeits- losigkeit so hoch? Warum gibt es trotz exzessivem Geldmengen- wachstum keine Inflation? Wenn wir die oeffentliche Diskus- sion beobachten, dann merken wir, dass alle diese Fragen jede fuer sich aus einem ganz speziellen Blickwinkel heraus be- trachtet werden. Die Zinsentwicklung sei ein spezielles Markphaenomen, eine Blase, die Arbeitslosigkeit bestehe auf- grund einer Ueberregulierung des Arbeitsmarktes und beim In- flationsthema ist man voellig ratlos. Dies sind einige von vielen der gaengigen Erklaerungsansaetze. Hat man Magen- schmerzen, dann muss also etwas mit dem Magen sein. Zwickt es hingegen im Ruecken, dann muss man dort suchen, roentgen, computertumographieren, kernspinnen, hineinschauen, herumwer- keln. Die grosse Kunst ist es nun, auf den ersten Blick unverbun- dene Dinge auf einen Nenner zu bringen. Also gleichsam ein "verbindendes Gesetz" zu finden. Das ist nur wenigen gelun- gen. Freud war sicherlich einer von ihnen. Er hat gezeigt, dass Magenbeschwerden und Rueckenziehen durchaus ein und die selbe Ursache haben koennen. Keynes war ein anderer. Er hat die verengte klassische Sichtweise, dass nicht geraeumte Maerkte nur auf Marktineffizienzen zurueckzufuehren sind, da- durch aufgebogen, dass er aufzeigt, dass Arbeitslosigkeit eben nicht auf dem Arbeitsmarkt entsteht, sondern das Geld hier den entscheidenden Einfluss ausueben. Mir wird Adaequates nicht gelingen - und dennoch stoesst mir etwas ins Auge, das hierfuer durchaus geeignet waere, jedoch weder in der Theorie noch in der oeffentlichen Diskussion auch nur ansatzweise eroertert wird. Es ist fast so etwas wie ein Gravitationsprinzip oder ein Magnetismus, welcher jedoch historischen Bedingungen unterworfen ist und dementsprechend unterschiedlich wirkt in unterschiedlichen Epochen. Ich unterscheide hierzu die Zwischen- und die unmittelbare Nachkriegszeit auf der einen Seite (hierzu sage ich "frueher" oder "damals") von unserer aktuellen Gegenwart auf der ande- ren Seite. Damals hatten wir eine Nachhol- oder Mangelwirt- schaft, heute hingegen eine Ueberflusswirtschaft. Das ist ei- gentlich eine triviale und allseits bekannte Feststellung. Doch uebertraegt man sie in allgemeine oekonomische Katego- rien, dann ergibt sich durchaus Interessantes und Neues: Frueher, also bis etwa zum Ende der Sechziger Jahre, regier- ten die Guetermaerkte - seitdem jedoch haben die Vermoegens- maerkte die Herrschaft uebernommen. Frueher war das entschei- dende wirtschaftliche Problem die Bereitstellung von Guetern - heute ist es die Anlage und Verwertung von Vermoegen. Frue- her gab es nur geringe Vermoegen, aber einen riesigen Nach- holbedarf an Guetern. Deswegen waren die Ersparnisse eine wichtige oekonomische Groesse. Man brauchte sie dringend, um die notwendigen Investitionen zur Gueterproduktion finanzie- ren zu koennen. Heute hingegen gibt es riesige Vermoegen, aber eine weitgehend gesaettigte Gueternachfrage. Die Erspar- nisse sind daher sekundaer und die Guetermaerkte nur noch ein Vehikel der Vermoegensmaerkte. Noch praeziser auf den Punkt gebracht: Frueher zogen die Gue- termaerkte die Vermoegensmaerkte hinter sich her. Heute hin- gegen schieben die Vermoegensmaerkte die Guetermaerkte vor sich her. Und noch enger gefasst: Damals regierte ein Gueter- vakuum die Welt. Heute hingegen ist es ein Vermoegensberg. Adaptiert man diese Loesung, dann gelingt es ploetzlich wie von Zauberhand, alle am Anfang genannten speziellen Betrach- tungen unter diesem allgemeinen Paradigma zu subsumieren: Das Guetervakuum fuehrte zu tendenzieller Inflation, also hohen Preissteigerungsraten, hohen Investitionen, hohen Zinsen und hoher Beschaeftigung. Dieses Vakuum sog also gleichsam alles in sich hinein. Der Vermoegensberg heutzutage bewirkt hinge- gen das genaue Gegenteil. Er drueckt unter seiner Last alles zusammen, weswegen wir niedrige Zinsen, niedrige Investitio- nen, niedrige Preise und niedrige Beschaeftigung beobachten. Der Sog der Gueter ist durch die Flutwelle der Vermoegen ab- geloest worden. Die wirtschaftliche Welt musste damit eine voellig andere werden. Die entscheidende Frage lautet nun: Was folgt aus dieser Sichtweise fuer die Zukunft? In dieser Hinsicht bitte ich jedoch um eine Woche Bedenkzeit und werde mich erst am naechsten Wochenende an dieser Stelle dazu aeussern koennen. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Zitat:
Das konnte ich auch bei dem Kauf eines neuen DVD-Rekorders vor ein paar Monaten beobachten: 1. ohne Garantie als reine Commodity-Ware kostete der Panasonic DMR ES-10 bei ebay ca. 160 EUR, 2. mit Garantie aber ohne Beratung bei amazon.de - 199 Euro 3. mit Garantie und Beratung bei Saturn - 260 Euro. Da merkt man schnell den Wert des Services in der Wertschöpfungskette. :) An sich ist diese Entwicklung nichts Ungewöhnliches, denn auch früher gab es schon immer die Prozesse der ständigen Abwertung der Warenproduktion durch die Massenproduktion, man denke nur daran, was Salz und Pfeffer einmal kosteten! :D Der Vermögensmarkt hat schon die gesamte Wertschöpfungskette begleitet, aber das der Gütermarkt durch den Vermögensmarkt ersetzt worden wäre, das kommt mir wie eine Schnapsidee vor. Der Grund für die ausbleibende Inflation ist übrigens gar nicht so rätselhaft, wie ihn Niquet darstellt, sondern liegt nach allgemeiner Überzeugung an den sinkenden Produktionskosten und hoher Arbeitslosigkeit durch die Auslagerung der Produktion in Niedriglohnländer. |
Die Wirtschaft in der Zitronenpresse
Von Dr. Bernd Niquet In der letzten Woche habe ich eine Theorie erfunden. Unsere Wirtschaft, so behaupte ich, hat sich grundlegend gewandelt: Bis in die Nachkriegszeit war die Versorgung mit Guetern das beherrschende Problem der fuehrenden Wirtschaftsnationen. Der Guetermarkt war folglich das Gravitationszentrum. Seitdem hat sich eine entscheidende Veraenderung ergeben, denn heute ist der Einsatz des Vermoegens zum neuen Regenten geworden. Das erklaert, warum wir keine Inflation mehr beobachten, niedrige Preise, niedrige Zinsen und niedrige Beschaeftigung haben. Marc Faber vertritt eine ganz aehnliche These - und mit ihm alle anderen, die ebenfalls eine pessimistische Grundhaltung haben. Ueberall steht die Dominanz und die Groesse der Fi- nanzmaerkte im Mittelpunkt: "Fuer meinen Geschmack", schreibt Faber, "sind die westlichen Finanzmaerkte zu gross, vergli- chen mit der realen Volkswirtschaft. Und es gibt auch zu viele smarte Leute und Schaetzjaeger in der Finanzindustrie, die es fuer den durchschnittlichen Anleger schwierig machen, eine gute Performance zu erzielen ... Diese Trends fuehren zu einem im Vergleich zur realen Wirtschaft ueberpro- portionalen Wachstum der Finanzmaerkte. Wenn das so weiter- geht - und ich bezweifle, dass das fuer immer so weiter geht - werden die westlichen Industrienationen nur noch sehr wenig (als Anteil am BIP) selbst produzieren, aber eine immer groesser werdende Armee von Finanz-Zauberern wird ihre Tage mit dem Handeln von Finanzinstrumenten wie Aktien, Anleihen, Optionsscheinen und so weiter verbringen!" Klare Sache fuer Faber also. Das kann eigentlich nicht gut gehen fuer die Finanzmaerkte. Es muss eine Anpassung geben. Und das kann eigentlich nur bedeuten, dass es eine Krise an den Finanzmaerkten geben muss, um das Gleichgewicht wieder- herzustellen. Doch die Geschichte lehrt uns, dass man Ent- wicklung niemals antizipieren kann, dass das, was passiert, wenn wirklich Epochales passiert, immer ueberraschend ge- schieht. Gerade neulich ist mir das an einem anderen und sehr gravierenden Beispiel noch einmal vor Augen gefuehrt worden. Denn wie war das, als Hitler bei uns an die Macht kam? Jeder dachte damals: hoechstens durch ein Putsch. Aber ein Umsturz lag nicht in der Luft, waere voellig chancenlos gewesen. Nir- gendwo stand jedoch zur Diskussion, dass das Verderben ver- fassungsmaessig zur Macht kommen koennte. Das war denk- unmoeglich! DENKUNMOeGLICH! Voellig absurd. Doch gerade das geschah schliesslich. Was ist also an obigem Ungleichgewicht fuer die meisten denk- unmoeglich? Kann es nicht vielleicht sein, dass die Anpassung zu einem neuen Gleichgewicht gar nicht ueber die Finanz- maerkte, sondern durch die Wirtschaft ablaufen wird? Meine Theorie suggeriert das - und meine Theorie ist damit um Laen- gen umfassender als Fabers doch sehr einseitige Sichtweise. Denn bei Faber sind die Finanzmaerkte stets nur ein - mehr oder eben heutzutage weniger zutreffendes -Spiegelbild der realen Wirtschaft. Bei meinem Modell hingegen dominieren die Finanzmaerkte die Realwirtschaft. Und ich bin fest davon ueberzeugt, dass diese Vorstellung die Realitaet wesentlich besser erklaert als alles andere. Wenn also die Finanzmaerkte die Realwirtschaft dominieren und determinieren - und die Finanzmaerkte dem Geschehen in der Wirtschaft bereits vorausgelaufen sind -, wie kann die Anpas- sung der Wirtschaft dann vonstatten gehen? Ich sehe zwei Wege: Der optimistische ist eine Ausweitung des Wirtschaftsvolumens ueber die Menge. Das heisst, die Wirt- schaft waechst gleichsam in den Vorlauf der Finanzmaerkte hinein. Der pessimistische hingegen ist derjenige der Anpas- sung ueber die Marge oder die Rendite. Das heisst: Die Wirt- schaft wird von den Finanzmaerkten ausgepresst wie eine Zitrone. Die Wirtschaft schrumpft oder stagniert, die Preise, Zinsen und Beschaeftigung bleiben niedrig und sinken noch weiter. Und genau dadurch werden die Ertraege des produktiven Kapitals weiter gesteigert. Eine Aschenputtelwirtschaft also. Die Guten ins Toepfchen (der Finanzmaerkte), die Schlechten ins Kroepfchen (der Real- wirtschaft). Die Finanzen sonnen sich im Glanz der Sterne und die Menschen strampeln in der Zitronenpresse. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
The Island of the Disabled
Von Dr. Bernd Niquet Heute ein paar Herbstimpressionen aus England. Weil wir ja vielleicht auch bald eine Kanzlerin haben werden, und natuer- lich, weil ich gerade dort in Britannien ein paar Runden ge- dreht habe. Von Lady Thatcher total umgekrempelt, so so. Man liest es immer wieder und man liest immer wieder zu viel, an- statt den eigenen Augen zu trauen. Doch vorerst konnte ich mit den Augen nichts erreichen, denn das Geschehen spielte sich in meinem Ruecken ab. Ich stand gerade auf der Seepromenade Sheerness auf der Insel Sheppey, wenn man es ueberhaupt noch nennen darf, denn eigentlich ist es nur ein Betonweg neben Betonmauern, um das kostbare Land gegen die Flut zu sichern. Ich betrachte die Einsamkeit, die Rauheit und die Haesslichkeit der Szenerie und bilde mir ein, ploetzlich zu verstehen, warum der Schriftsteller Uwe Johnson sich an diesem Ort umgebracht hat. Ich zuecke den Fotoapparat und werde im selben Moment beinahe von hinten ueberfahren, zudem von lauten Fluechen ueberzogen. Unhoerbar hatte sich ein Rollstuhlfahrer von hinten genaehert - und nun stand ich ihm ploetzlich im Weg. Zuerst etwas aer- gerlich, kam ich wenig spaeter zu der Erkenntnis, gerade ei- nen Blick in die Zukunft geworfen zu haben. Eine durchaus wunderbare Zukunft. Denn es passierte ja noch mehr. Auf dem Weg zurueck zum Auto Rollstuhlfahrer auf dem Buerger- steig in Zweierreihen, in Margate vor dem Hotel-Restaurant saemtliche Parkplaetze reserviert fuer die Disabled. Wer nicht behindert ist, muss also hinter dem Hotel parken. Und in Broadstairs schliesslich ein ganzes Schaufenster dekoriert mit Aufklebern fuer die Disabled. Rollstuhlzeichen der ver- schiedensten Groessen und Farben, Schilder wie "Disabled Driver" und viele sonstige Dinge noch. Die Betreffenden park- ten begeistert davor und schauten. Was ist anders auf der Insel als hier? Bei uns regieren die Hunde die Gruenflachen und die Autos den Rest. Dieser Laerm und diese andauernde Gefahr! Welche Wohltat dagegen das leise Surren eines Rollstuhls! Keine Aggressionen, kein politischer Extremismus. Friede und Verstaendigung. Keine Experimente, schon gar nicht politisch. Unuebersehbare Risiken auch lieber nicht. Ruhe und Ordnung sind die hoechsten Gueter. Wuerden wir doch nur unsere Politiker auch saemtlich in Rollstuehle verfrachten. Und die Triebtaeter gleich mit dazu. Die Flakhelfergeneration stirbt nun aus, der Rest hat ohnehin nichts Wichtiges zu berichten. Und in England ersetzen die Rollstuhlfahrer die Kriegsveteranen. Die Opfer des Wohlstan- des die Opfer des Mangels. Und dann diese unsaegliche demo- graphische Komponente. Die Insel macht uns vor, wo die wirk- lichen Wachstumsmaerkte zu finden sind. Es ist wie in der Mu- sik. Das, was dort heute passiert, schwappt zu uns erst Jahre oder Jahrzehnte spaeter herueber. Ich habe einen Blick in die Zukunft erheischt, doch wo ist sie bei uns? Und was streiten wir ueber nebensaechliche Dinge wie Steuern? Die zentralen Themen sind andere. Das Comeback des Rentners, auf allen Ebenen. Dem Normalen, dem Haftpflich- tigen, das alles sichtbar. Und nicht zu vergessen, dem Wich- tigsten, dem Rentier. Er allerdings unsichtbar, dafuer jedoch der wichtigste Regent unserer Welt. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Der Fehler mit der Wettbewerbsfaehigkeit
Von Dr. Bernd Niquet Wir muessen unsere Kosten senken, um international wettbe- werbsfaehig zu sein. Das troetet auch nach dem Wahlkampf noch in unseren Ohren. Die Indoktrination laeuft auf Hochtouren. "Wir muessen immer um so viel besser sein wie wir teurer sind als die anderen", hat Angela Merkel gesagt. Eine derbere Fehleinschaetzung kann man kaum von sich geben. Sie ist zu Recht nicht eindeutig zur Kanzlerin gewaehlt worden. Wie komme ich zu dieser auf den ersten Blick kuehnen Behaup- tung? Warum liegt die herrschende Orthodoxie hier so falsch? Auf dem Weltmarkt konkurrieren wir mit anderen Nationen nur in Hinsicht auf weltmarktfaehige Produkte. Wir sind jedoch eine grosse Volkswirtschaft, in der der ueberwiegende Teil aller Produkte und Dienstleistungen im Inland abgesetzt wird. Und hier gilt das internationale Wettbewerbs- oder Kosten- argument eben nicht, nein, hier gilt fast das Gegenteil da- von. Denn Kostensenkungen von Produkten und Dienstleistungen, die im Inland hergestellt und auch im Inland abgesetzt wer- den, entsprechen gleichzeitig immer Einkommensreduktionen un- serer Buerger. Und das fuehrt auf keinen guten Weg. Das ausschliessliche Wettbewerbsargument fuehrt in letzter Konsequenz, wenn wir die Dinge gedanklich einmal auf die Spitze treiben, dazu, dass unsere Binnenwirtschaft ruiniert wird, damit unsere Gueter schliesslich auf dem Weltmarkt gut abgesetzt werden koennen. Dieser Weg ist jedoch kein erfolg- versprechender Weg! Kann das unser Ziel sein? Wohl eher kaum. Wir muessen vielmehr eine schwierige Gratwanderung beschrei- ten, aussenwirtschaftlich erfolgreich zu sein und uns binnen- wirtschaftlich nicht zu ruinieren. Doch Gratwanderungen ent- ziehen sich schon per Definition einer Patentloesung à la Merkel. Natuerlich "bedroht" uns auch in der Binnenwirtschaft stets das Ausland. Die Waesche der Berliner Hotels wird in Polen gewaschen, und vom Broetchenbacken alleine koennen wir nicht leben. Es ist jedoch stets ein Trade-off - und mit den wirk- lichen Billigproduzenten koennen wir sowieso nicht mithalten. Hohes Augenmerk muss daher stets die Binnenwirtschaft haben. Und dass wir es hier derzeit nicht mit Angebotsproblemen, sondern eher mit einer Schwaechung der Nachfrage zu tun ha- ben, ist wohl offensichtlich. Also: Kein Dogma, sondern eher Pragmatismus! Machen doch die anderen und die weiseren Natio- nen auch! Mindestens ebenso gravierend - jedoch weitgehend in seinen Folgen unbeachtet - scheint mir hingegen der Ausverkauf zu sein, den unser Land gegenwaertig hinsichtlich seiner Assets erlebt. Die besten mittelstaendischen Unternehmen gehen an auslaendische Fonds - und unsere heimischen Kapitalsammel- stellen interessieren sich nicht einmal dafuer. Und die Kommunen verkaufen die Wohnungen schneller als die Baecker die Semmel. Vielleicht leben wir daher bald in einem Land, das in einem ganz anderen Sinne ueberfremdet ist als wir uns das bisher gemeinhin stets so vorgestellt haben. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Was hat man uns nur erzaehlt?
Von Dr. Bernd Niquet Die Lohnnebenkosten sind ein Uebel. Ein ganzes Volk wuerde sie am liebsten in den Boden stampfen. Es gibt wohl niemanden mehr, der nicht fuer eine Senkung der Lohnnebenkosten ein- treten wuerde. Die Politik sowieso, die Arbeitgeber natuer- lich auch, denn eine Senkung der Lohnnebenkosten bedeutet fuer sie geringere Lohnzahlungen. Und die Arbeitnehmer sind ebenfalls dafuer, schliesslich bleibt bei einer Senkung der Lohnnebenkosten bei gleichbleibendem Bruttolohn netto mehr in der Kasse. Also weg damit! Zumindest: deutlich herunter! Man ist fast an die Zeiten vor 1989 erinnert. "Die Mauer muss weg!" hiess es damals - und sicherlich mit einigem Recht. Doch lange halten diese Parallelitaeten natuerlich nicht. Wenn ich mir die vielen Mail anschaue, die ich auf meine Kolumnen der letzten Wochen bekommen habe, wird mir die Tragik von Angela Merkel noch deutlicher als vorher. Wie leicht haette sie als leuchtende Wahlsiegerin dastehen koennen, wenn sie einfach nur gesagt haette: Die Lohnneben- kosten muessen herunter. Und nichts von Mehrwertsteuererhoe- hung und sonstigem. Die Mauer muss weg! Damit konnte man schon immer Wahlen gewinnen - und heute sicherlich genauso. Der Rest sind doch oekonomische Zusammenhaenge - und wer ver- steht denn schon davon etwas? Der durchschnittliche Waehler ganz gewiss nicht. Wer also die Chance haben will, ehrliche Politik zu machen, muss vorher betruegen. Wie das geht, hat Schroeder zwei Mal erfolgreich vorexerziert. Doch weg jetzt von der Politik und hin zum Oekonomischen. Die Geschichte mit den Lohnnebenkosten ist ein Nullsummenspiel. Und ein Spiel, bei dem es ausschliesslich um Elastizitaeten geht. Was bringt der Gesamtwirtschaft mehr: zwei Prozent mehr Gewinn oder zwei Prozent mehr Konsum? Die wichtigsten Posi- tionen der Lohnnebenkosten sind die Versicherungsbeitraege der Arbeitnehmer fuer Krankheit und Arbeitslosigkeit, die Leistungen fuer die Rentenzahlungen an die jetzigen Alten und die Lohnzahlungen im Krankheits- und Urlaubsfall. Wenn die Lohnnebenkosten reduziert werden, dann muss irgend jemand das bezahlen. Es gibt mehrere Moeglichkeiten, wobei eigentlich nur eine Gruppe aus dem Schneider ist, naemlich die Unternehmen. Denn eine Finanzierung der Senkung der Lohn- nebenkosten im Unternehmerlager waere zwar theoretisch moeglich, jedoch reichlich widersinnig. Die Senkung der Lohn- nebenkosten ist also so etwas wie ein Lastenausgleich einer ganzen Gesellschaft zu Gunsten der Arbeitgeber. Ein ganzes Land sammelt fuer seine Athleten, damit sie dieses bei den internationalen Wettkaempfen gut vertreten. Und wen kann man hier am trefflichsten zur Kasse bitten? Die Steuerzahler, die Arbeitnehmer und die Konsumenten. Eine Steuererhoehung faellt weg, denn hiermit wuerde man auch die Selbstaendigen und die Personengesellschaften treffen, die doch ebenfalls als Athleten auftreten. Bleiben mithin die Arbeitnehmer und die Konsumenten. Der Mehrwertsteuerfall ist der Merkelfall. Doch die anderen Politiker sind sicherlich kreativ genug, sich noch eine Vielzahl anderer Varianten ein- fallen zu lassen. Angesichts der Kombination von Rekordgewinnen mit totaler Konsumflaute sind das jedoch alles Holzwege. Lassen wir doch die Lohnnebenkosten so wie sie sind! Auch eine Senkung von zwei Prozent macht den legalen deutschen Arbeitnehmer nicht konkurrenzfaehig gegenueber dem auslaendischen Schwarzarbei- ter. Investieren wir lieber mehr in Ueberpruefungen! Denn wir muessen immer bedenken: Zwei Prozent zu Gunsten der Unterneh- men sind zwei Prozent zu Lasten des Konsums. Und das bei der gegenwaertigen Situation. Das duerfte nicht einmal ein weit- sichtiger Unternehmer so recht befuerworten. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Ein zwiegespaltenes Land
Von Dr. Bernd Niquet Ueberall Risse, genau mitten durch. Ein ganzes Land gespal- ten. In der Mitte entzwei. Die Risse mehrdimensional. Zwi- schen Norden und Sueden. Zwischen Osten und Westen. Zwischen oben und unten. Und am bedeutsamsten: Zwischen dem, was man sieht - und dem, was man hoert. Zwischen dem, was ist - und demjenigen, wovon behauptet wird, dass es sei und dass man es glauben moege. Alles zerrissene Gestalten. Ueberall nur zerrissene Gestal- ten. In Politik und in der Wirtschaft. Von den Kuenstlern weiss man, dass sie viele Seelen in sich vereinigen. Kauf- leute hingegen sind eindimensional. Bei ihnen laeuft der Riss mitten durch das einzige Ego hindurch. Kaum ein Kaufmann in unserem Land, der keine Zuege von Schizophrenie traegt: Ei- nerseits sind sie die grossen Macher, andererseits jedoch nur arme Wichte, denen von der Politik und von den Gewerkschaften nur Knueppel zwischen die Beine geworfen werden. Immer nur Knueppel zwischen die Beine! Und dann dieses ewige Klagen! Das andauernde Jammern. Hier hat es seinen Ursprung. Man spricht immer von der Wehleidigkeit der Deutschen. Doch es ist nicht das Volk, es ist die Elite, die das Jammern hierzulande erfunden hat. Und mit Erfolg praktiziert. Denn je groesser das Jammern aus dem Unternehmerlager, umso groesser die Zugestaendnisse der Politik. Das hat natuerlich der Buer- ger begriffen und faengt jetzt seinerseits ebenfalls an zu jammern. Die Probleme des Standorts Deutschland, die Verunsicherung der Konsumenten, die Sorgen um den Arbeitsplatz, die die Kon- sumnachfrage so deutlich daempfen - all das kommt vom Gejam- mer der Unternehmen. Hier wird aus egoistischen Motiven ein ganzes Land zugrunde gejammert. Schaut man sich die Gestalten an, die hier an vorderster Front stehen, dann fragt man sich: Wenn denn wirklich alles so toll ist auf Arbeitnehmerseite, der Kuendigungsschutz so unantastbar und die Unternehmen ver- gleichsweise so arm dran sind, ja warum sind diese Leute dann bloss Unternehmer geworden und nicht Arbeitnehmer??? Seit Angela Merkel springt nun auch noch die Politik auf den Jammerzug auf. Mit einem Wahlkampf, ausschliesslich darauf ausgerichtet, ein Land schlecht zu machen. Doch der Buerger hat es bemerkt, was hier geschieht. Und hat die Kanzlerin ab- gewaehlt bevor sie es geworden ist. In der Politik hat der Buerger naemlich genau die Macht, die ihm in der Wirtschaft fehlt. Denn hier hat er gegen das Jammern der Konzerne keine Chance. Die Bundestagswahl hat denn auch gezeigt, was wirklich los ist in unserem Land. Und schauen wir nur auf die anderen Dinge. In Muenchen, das Oktoberfest ueberfuellt. Selbst beim Berliner Oktoberfest schon ueber 100.000 Zuschauer. Im Fuss- ball die meisten Bundesliga-Spiele ausverkauft, im Schnitt ueber 40.000 Zuschauer pro Begegnung. In den Herbstferien alle Strassen leer, die Buerger verreist. Jeder Basar und jedes Volksfest mit Menschen ueberschwemmt. Die Deutschen sind kein Volk von Sauertoepfen und auch keine Konsumverweigerer. Es scheint viel eher so, dass ihnen die Produkte mit dem jaemmerlichen Kundenservice der ganzen Jam- merbande irgendwie an der Huefte vorbei gehen. Das Volk scheint wieder einmal viel vernuenftiger zu sein als seine hochgepuschten Eliten. Wie eigentlich fast immer in unserer Geschichte. Es sollte sich nur nicht immer so infiltrieren lassen mit dem ganzen Unsinn, der aus Machtgruenden publi- ziert wird. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Tatsaechlich eine demografische Katastrophe?
Von Dr. Bernd Niquet Es gibt derzeit wohl kein Thema, bei dem eine derartige Kon- formitaet der Meinungen herrscht wie in Hinsicht auf die behauptete demografische Katastrophe, auf die wir zusteuern. Ob die Bayern Meister werden, ob die Zinsen weiter steigen und uns vielleicht ein Aktiencrash bevorsteht. Ueber alles gibt es eine Vielfalt der Meinungen. Nur ueber die Demografie nicht. Wir werden immer aelter und immer weniger. Um Gottes willen, das kann nicht gut gehen. Da sind sich alle einig. Ich glaube, dass es in der gesamten juengeren Geschichte kein Beispiel einer derartigen Verfestigung der Meinungen gegeben hat wie in diesem Thema. Selbst dem Krieg haben noch viele Leute eine positive Seite abgewonnen. Doch bei der Demografie kann es nur eine Katastrophe geben, das scheint bereits heute festzustehen. Wie kommt man eigentlich darauf? Weil man die Wirklichkeit nur mit einem Auge sieht, sich dessen jedoch nicht bewusst ist und folglich das Gesehene fuer das Ganze haelt. Eines ist sicherlich gewiss. Fuer das, was uns in den naechsten Jahr- zehnten bevorsteht, gibt es kein historisches Beispiel. Wir betreten voelliges Neuland. So etwas wie den Baby-Boom der Nachkriegszeit hat es noch niemals gegeben. Ebenso noch nie- mals einen volumenmaessig derart ausgepraegten Rueckgang der Bevoelkerung, wie er sich jetzt abzeichnet. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist: Es hat auch noch niemals in der Geschichte eine derartige Hoehe von angesammeltem Vermoegen gegeben. Und in diese divergierenden Linien hinein gesellen sich zwei weitere ent- scheidende auseinanderstrebende Sichtweisen. Einerseits: Der Bevoelkerungsschwund fuehrt dazu, dass demnaechst die Versor- gung der vielen Alten durch die wenigen Jungen nach den jet- zigen Regeln nicht mehr gewaehrleistet ist. In diesem Sinne ist die Bevoelkerungsentwicklung also tatsaechlich eine Kata- strophe. Andererseits gibt es jedoch einen heftigen Produktivitaets- fortschritt und wir befinden uns mitten im Eintritt in das postindustrielle Zeitalter. Beides bedeutet, dass uns sukzes- sive die Arbeit ausgeht. Erste Vorlaeufer sind bereits zu merken. Vieles, was bisher der Mensch gemacht hat, laeuft bereits ueber Computer und Maschinen. Und dieser Trend wird sich weiter beschleunigen. Bald werden wir nur noch Bruch- teile der Arbeit - und damit auch der Beschaeftigten - benoe- tigen, um sogar einen hoeheren Lebensstandard zu erreichen als bisher. In diesem Sinne ist unsere Bevoelkerungsentwick- lung also ein regelrechter Segen! Denn wohin ansonsten mit den ganzen Menschen, wenn man keine Arbeit hat fuer sie? Es sieht also alles danach aus, als ob es in jedem Fall einen Ueberhang geben wird. Laender mitwachsender Bevoelkerung wer- den die Jungen ausserhalb des Erwerbslebens alimentieren muessen. Und schrumpfende Bevoelkerungen dasselbe mit den Alten. Betrachtet man die Dinge einmal von dieser Warte aus, haben wir es vielleicht gar nicht mit einer Katastrophe, son- dern vielmehr mit einem Glueckslos zu tun. Denn sind Massen an Jugendlichen ohne Arbeit durchzufuettern, dann birgt das enorme soziale Spannungen. Schaut man hier auf die moslemi- schen Staaten, kann einem nur das Grauen kommen. Zudem die Jungen auch noch alle voellig vermoegenslos sind. Dann lieber Alte, Ruhige und Konservative durchfuettern, die ueberdies wenigstens zum Teil schon selbst vorgesorgt haben fuer ihr Alter. Und ihre Vermoegen nicht vererben muessen, sondern frei verkonsumieren koennen. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Die Frau mit der Eisenmaske
Von Dr. Bernd Niquet Altweibersommer an der Ost-Ostsee. Seit Tagen nicht eine ein- zige Wolke am Himmel. Seit Wochen kein Regen. Ein Wetter wie es das nur ganz selten gibt. Doch wenn erst einmal wieder ein paar Regentage da sind, werden die Menschen sich wieder ueber das Wetter beschweren. Dann wird sich niemand mehr erinnern, niemand mehr abwaegen, dann kommen die Urteile direkt aus den aktuellen Wahrnehmungen der Sinne. Das Hallenbad des Hotels ist aufgrund des guten Wetters ver- gleichsweise leer. Das kleine Maedchen paddelt mit hochgebun- denen Haaren und Schwimmfluegeln sowie Schwimmreifen durch das Becken. Wen dieses Bild nicht ergreift, den ergreift nie- mals mehr etwas. Die Frau mit der Brille durchschwimmt den Pool nach einem vorgegebenen Rhythmus. Am vorderen Rand der Laenge nach brustschwimmend, dann in der Mitte rueckenschwim- mend zurueck. Ganz dicht kommt sie an dem kleinen Maedchen vorbei, da sie sich nicht umdreht und hinten keine Augen hat. Die Gesichter der beiden begegnen sich. Das kleine Maedchen lacht vergnuegt. Ihre Milchzaehne strahlen. Die Mimik der Frau bleibt voellig unveraendert. Stumm und regungslos zieht sie ihre Bahnen, eine nach der anderen. Keine Abweichung. Das Gesicht voellig unveraendert. Abends ist sie im Restaurant wieder zu sehen. Das Buffet beginnt um sechs. Um fuenf Minu- ten vor sechs hat sie sich mit ihrem Mann an einem Platz am Fenster hingesetzt. Reservierungen im Voraus sind nicht moeglich. Ihr Gesicht ist immer noch voellig unveraendert. Ihr Mann hat ein frisch gebuegeltes gestreiftes Oberhemd an, das niemals einen Koffer von innen gesehen haben kann. Sein Scheitel ist praezise gezogen, der Faconschnitt der Haare perfekt. Die beiden essen schweigend. Gemeinsam trinken sie eine Flasche Mineralwasser. Das Gesicht der Frau ist voellig unveraendert. Das des Mannes ebenfalls. Die beiden blicken jeder fuer sich im Restaurant herum. Die spaeter Gekommenen sitzen nicht am Fenster. Manche lachen, manchen schmeckt das Essen sichtlich. Einige trinken Bier, wenige Wein. Ein Glueck, dass wir nicht so sind wie die, denkt die Frau. Doch ihr Gesicht bleibt voellig unbeweglich. Jeder Tisch wie eine Monade. Der Individualismus feiert jetzt auch hier seine Triumphe. Doch sein Schicksal ist das Gleiche wie ueberall. Je mehr die Menschen sich von den anderen ab- setzen moechten, umso groesser wird die Konformitaet. Jedem Individualisten und Egoisten sitzen die anderen, von denen er sich absetzen moechte, ganz tief im eigenen Fleisch. Und je mehr er strampelt, um so staerker schmerzt es. Das Gesicht bleibt jedoch voellig unveraendert. Der Abend geht zu Ende wie alle anderen Abende auch. Das Buffet ist gut abgeraeumt, niemand ist betrunken, niemand ist laut geworden, niemand ist aus der Reihe gefallen. Alle Gespraeche bei Tischlautstaerke. Bei Neckermann kostet es ein paar Euro weniger als bei TUI. Da hat man das Geld fuer Kaffee und Kuchen wieder heraus. Doch das Gesicht bleibt unbeweglich. Soll man sich Sorgen um so ein Land machen? Sicher, es wird keine grossen Experimente mehr geben und die Herausforderun- gen der Zukunft wird man nur mittelmaessig bestehen. Doch fast alle Katastrophen der Geschichte sind aus Experimenten und Aktionismus entstanden. Der Ueberflieger kann durchaus abstuerzen. Doch der Sitzenbleiber findet in der naechst niedrigeren Stufe seinen Platz. Soll man sich also Sorgen machen? Nein, denn es geht alles seinen geordneten Gang. Und den wird es auch weiter so gehen. Es gibt nur eine Tragik, doch sie ist keine oekonomische Ka- tegorie: Das Gesicht bleibt dabei voellig unbeweglich. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Nicht wieder gut zu machender Schaden
Von Dr. Bernd Niquet Nehmen wir einmal an, ein Mitglied der neuen Geschaeftslei- tung eines Unternehmens tritt noch vor seinem Amtsantritt vor die Presse und verkuendet, dass sein Unternehmen eigentlich Konkurs anmelden muesste. Wer wird von diesem Unternehmen noch Produkte kaufen? Und wer wird diesem Unternehmen noch Geld anvertrauen? Solche Geschaeftsfuehrer muesste man ei- gentlich gleich wieder vor die Tuer setzen. Anfang dieser Woche sagte der hessische Ministerpraesident Roland Koch nach den Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung: "Wuerden die Regeln des privatwirtschaftlichen In- solvenzrechts gelten, dann wuerde jede Minute, die man zoe- gerte, beim Insolvenzgericht den Konkurs des Unternehmens Deutschland anzumelden, eine Straftat darstellen." Wuerde man die privatwirtschaftlichen Usancen bei Herrn Koch selbst anwenden, so gehoerte er sofort gefeuert. Fristlos und ohne jede Abfindung. Was fuer dummes Gerede ist das? Und wo fuehrt das hin? So wie es aussieht, scheint die Grosse Koalition die Attitue- de des Merkelschen Wahlkampfes weiter fortsetzen zu wollen. Alles ist so fuerchterlich hoffnungslos. Dabei sind die Defi- zite der Bundesrepublik Deutschland weit geringer als die anderer grosser Wirtschaftsmaechte, um nur einmal die USA oder Japan zu nennen. Doch hier agiert man pragmatisch und optimistisch, versucht gegenzusteuern. Bei uns hingegen wird wieder einmal nur gejammert. Und immer deutlicher uebertraegt sich die Larmoyanz unserer Fuehrungselite auf die normale Bevoelkerung. Wer will sich denn noch fuer unser Land engagieren, wenn derartige Leute an der Spitze stehen? Wer will sich noch fuer unser Land enga- gieren, wenn es sowieso schon ein Fall fuer den Konkursrich- ter sein soll? Wer traut sich noch zu konsumieren, wenn er damit rechnen muss, dass er vom Konkursverwalter des Staates mit heftigen Regressforderungen konfrontiert werden koennte? Eine schlechtere Wirtschaftpolitik als die gegenwaertige ist letztlich ueberhaupt nicht mehr denkbar. Es ist bereits heute eigentlich voellig egal, was diese Regierung einmal be- schliessen wird. Der Schaden ist bereits so gross, dass er nicht mehr wieder gut zu machen ist. Und irgendwie ist man fatal an ganz unselige Zeiten deutscher Wirtschaftspolitik erinnert. Roland Koch und Angela Merkel - im Felde unbesiegt. Und nur vom Dolch der Defizite gemeuchelt. Die Dolchstoss- legende, zweiter Teil. Und dann immer dieses Ueberrascht-Sein. Jeder Buerger weiss um den Stand des Staatsdefizits, nur unsere Fuehrungselite ist immer wieder ueberrascht. Und natuerlich betroffen. Unsaeglich betroffen. So richtig deutsch-betroffen. "So schlimm haben wir uns das aber nicht vorgestellt." CDU- betroffen. Aber selbst die SPD soll ja wohl betroffen sein, was dabei heraus kommt, wenn man die Zahlen, die man doch in eigener Regie zu verantworten hat, genauer betrachtet. Oh, wuerden wir uns doch nur auf Ludwig Erhard besinnen und die ganzen Redenschwinger und ueberraschten Heinis in die Wueste schicken. Das waere das beste Konjunkturprogramm des neuen Jahrtausends. Und wahrscheinlich das einzige, was wirk- lich zieht. Die Klappe halten und einfach losmachen. Vor allem: Die Klappe halten! ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Paris spielen, Bruening spielen
Von Dr. Bernd Niquet Das Leben kann wirklich ueberraschend sein. Immer wieder wird uns haargenau prognostiziert, was in Zukunft passieren wird - und dann kommt es doch alles voellig anders. Die Welt und die Daten, die wir taeglich erhalten, sind eben so vielfaeltig, dass sich jeweils verschiedene Szenarien mit der gleichen Folgerichtigkeit ableiten lassen. Es ist also zwangslaeufig so, dass einige es immer schon gewusst haben und andere eben einfach im Regen stehen. Wer beispielsweise - so wie ich - den Film "Hass" von 1995 gesehen und Buecher wie "Roissy-Express" gelesen hat, wird sich ueber die Ereignisse in Paris derzeit nicht wundern. Es musste ja so kommen. Die Zeichen standen seit langem an der Wand. Andererseits: Wie viele Zeichen haben wir in den letz- ten Jahren gesehen, die vielleicht noch viel deutlicher wa- ren? Doch dann ist anschliessend nichts passiert. Interessant finde ich die Rueckkopplungseffekte. Das ist fast wie an den Boersen. Jetzt spielen Buergersoehnchen in Berlin auch Paris. Ein Abenteuerspielplatz fuer die grosse Langewei- le. Autos anzuenden. Was fuer ein Ereignis. Und alles viel realer als im Fernsehen. Die Politik faengt leider ebenfalls an zu spielen. Und das Rollenspiel, das derzeit eingeuebt wird, traegt den furcht- einfloessenden Namen "Bruening". Auch hier wieder die gleiche Situation. Man kann zwei diametral entgegengesetzte Szenarien mit der gleichen Folgerichtigkeit ableiten. Einerseits kann man, wie Herr Koch von der CDU das getan hat, den Staat an- hand einer Cash-Flow-Ueberlegung als nach privatwirtschaftli- chen Kriterien Pleite bezeichnen und dadurch eine Mehrwert- steuererhoehung durchbringen, um zu retten, was noch zu ret- ten ist, um nur das Allerschlimmste, naemlich den Staats- bankrott zu vermeiden. Andererseits kann man jedoch zeitgleich - und mit der glei- chen logischen Stimmigkeit - den Schuldenstand des Staates mit dem Kapitalstock unseres Landes in Verbindung setzen, dann kommt man auf Werte, die um Lichtjahre besser sind als die jedes Unternehmens. Und damit eine deutliche Ausweitung der staatlichen Defizite moeglich machen, um die aktuelle Krise zu bekaempfen. Und was nun? Nur eines ist sicher: Im Nachhinein wird eine Seite es schon immer gewusst haben - und die andere ihre Position eher zu verschweigen suchen. Was mir Sorge macht, ist, dass sich durch die jetzt absehbaren Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen alle, aber auch alle Waehler ge- taeuscht fuehlen werden. Die SPD Waehler werden erleben, dass ihre Partei der Mehrwertsteuererhoehung, die sie so vehement bekaempft hat, als Regierungspartei zustimmt. Und die CDU Waehler werden erleben, dass alle Liberalisierungen und Steu- ererleichterungen von der CDU als Regierungspartei ins Ab- seits gekippt werden, ja sogar das Gegenteil davon realisiert wird. Indem man versucht, durch Konsens die Risse zu kitten, reisst man moeglicherweise weit groessere Risse auf. Und derweil wird oeffentlich ueberall gezuendelt und an Dolchstoessen gebastelt. Wie schoen ist dagegen die gegenwaertige regie- rungslose Zeit. Koennte sie nicht fuer immer andauern? ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Das Gerede bedrueckt, nicht die Fakten
Von Dr. Bernd Niquet Es ist wieder einmal die Zeit des Bewunderns angebrochen. Ich jedenfalls komme aus dem Staunen und Bewundern nicht mehr hinaus, wie sicher die ganze Expertenschar in unserem Lande hinsichtlich der steuerpolitischen Beschluesse der grossen Koalition auftritt. Da wird mit einer Sicherheit verkuendet, was gut und was schlecht ist, dass ich wirklich nur den Hut ziehen kann. Ich habe fast den Eindruck, Hellsehern zuzuhoe- ren. Man kann auf Dauer nur ausgeben, was man einnimmt, sagen die einen. Doch man darf in der Krise nicht konsolidieren, son- dern muss die Ausgaben trotz Defizit steigern, sagen die an- deren. Fakt ist sicherlich, alleine schon aus Gruenden der Logik: Eine der beiden Seiten kann nur Recht haben. Doch wenn dem so ist - und das wissen beide Seiten ja genau - wie kann man dann die eigenen Urteile so apodiktisch vertreten als handle es sich dabei um Naturgesetze? Und vor allem: Was ist eigentlich, wenn es sich bei uns um eine Dauerkrise handelt? Wer hat denn dann Recht? Ich persoenlich tendiere eher der Fraktion zu, die die Steuererhoehungen in der jetzigen Situation fuer falsch haelt. Doch andererseits: Wenn wir jetzt nicht endlich anfangen, das staatliche Budget zu konsolidieren, wann dann? Es ist also stets ein Balanceakt - doch dieser Balanceakt widerspricht sehr deutlich den apodiktisch vorgetragenen Extremmeinungen der vielen Experten. Aber wahrscheinlich muss man bei degenerierten Geschmacksnerven wirklich die Marmelade zentimeterdick auftragen, um ueberhaupt noch etwas zu schmecken. Eine Mehrwertsteuererhoehung um drei Prozent entspricht bei Annahme der voelligen Ueberwaelzung und konstanten Loehnen einer realen Lohnsenkung um ebenfalls annaehernd drei Pro- zent. Das wird also den Konsum schwaechen und die Wirtschaft weiter in den Keller fuehren. So die eingaengige und logisch leicht nachvollziehbare These der einen Seite. Doch ist das wirklich so? Meine eigenen Beobachtungen und kleinen Theorien sprechen sehr dagegen. Ich glaube, dass eine Preiserhoehung um drei Prozent von den Menschen ueberhaupt nicht bemerkt wird. Und der Grund liegt darin, dass die Menschen ohnehin nicht auf die Preise gucken. Bei teuren Anschaffungen sicherlich, doch bei kleinen Dingen ueberhaupt nicht. Es sind jedoch die vie- len kleinen Dinge, die das Grosse - sprich: die Konjunktur - machen. Mein Experimentum crucis ist stets die Weihnachtszeit. Hier hat sich der Handel etwas Geniales ausgedacht: Weihnachts- Suessigkeiten sind etwa doppelt bis drei Mal so teuer wie an- dere und voellig identische Suessigkeiten. Sie werden an Extra-Staenden platziert und es gibt ein rigoroses Preiskar- tell. Laecherliche Schokoladenkugeln kosten 2,50 Euro fuer 100 Gramm. Das sind fuenf Mark. Doch die Leute kaufen und kaufen. Und sie bemerken die Preise gar nicht, weil sie ueberhaupt nicht draufschauen. Beim "kleinen Mann auf der Strasse" holt sich der Staat al- les, so heisst es ueberall. Besonders von denjenigen, die alle Lasten anderen in die Schuhe schieben wollen. Was dabei vergessen wird, ist, dass ueber 95 Prozent der Bevoelkerung kleine Maenner sind. Selbst wenn sie Frauen sind. Schaedlich scheint mir daher weniger die Mehrwertsteuer- erhoehung (das fehlende Geld muesste man sich ansonsten sowieso irgendwo anders besorgen) - als dieses andauernde ganze Katastrophengerede darum. Die Mehrwertsteuererhoehung werden wir alle ueberleben wie man einen Mueckenstich ueber- lebt. Pro Haushalt macht das etwa 16 Euro im Durchschnitt pro Monat aus. Doch wie lange wir die oeffentliche Miesmacherei und Miesepeterei der ganzen Interessenverbaende noch ertragen koennen, da bin ich nicht so optimistisch. Mich kostet das gefuehlt jedenfalls deutlich mehr als 16 Euro im Monat. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Zitat:
Zu den Preisen für Kleinzeug: ja, einige Leute bemerken den Unterschied bei den Kleinpreisen nicht. Aber sie merken, daß das Haushaltsgeld jetzt schneller ausgeht, als früher und nicht mehr für den Monat ausreicht. Zitat:
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Die Grenzen des Wachstums
Von Dr. Bernd Niquet Kapitalgelenkte Marktwirtschaften haben stets etwas von einem Schneeballsystem. Das mag auf den ersten Blick wie eine linke Phrase klingen, erweist sich bei naeherem Hingucken jedoch als nuechterner Fakt. Wir muessen immer weiter wachsen, ansonsten kann das System in eine Krise geraten. Das hat einerseits sehr viel mit der menschlichen Natur zu tun, ande- rerseits aber auch mit den Funktionsbedingungen des Kapita- lismus. Menschen wollen stets mehr verdienen und mehr haben. Die Arbeitnehmer wollen hoehere Loehne, die Konsumenten mehr kaufen und die Kapitalanleger hoehere Ertraege. Fuer den Pro- duktionsprozess bedeutet das: Es muss stets mehr herauskommen als hinein gesteckt wurde, da nicht nur die Vorprodukte und die Loehne erwirtschaftet werden muessen, sondern auch die Bedienung des Eigenkapitals respektive die Zinsen auf Fremd- kapital. Wir sind also dazu verdonnert, immer weiter zu wachsen. Inso- fern entspricht der Kapitalismus vollstaendig den menschli- chen Praeferenzen. Temporaere Phasen des Stillstandes sind durchaus denkbar - und ebenfalls mit der menschlichen Natur kompatibel. Dauern sie jedoch laenger an, dann wird es auf der Kapitalseite kritisch. Denn das Kapital, das nicht mehr aus Ertraegen bedient werden kann, wird notleidend. Passiert dies im grossen Stil, dann entsteht die Gefahr einer kumula- tiven Entwicklung, einer kumulativen Abwaertsspirale. Entscheidend fuer den Wachstumsprozess ist die Entwicklung neuer Produkte und damit neuer Beduerfnisse. Natuerlich haben heutzutage Familien, die wirklich etwas auf sich halten, nicht nur einen, sondern bereits zwei oder drei Gelaendewagen vor der Tuer. Doch die Grenze ist absehbar. Spaetestens bei fuenf Gelaendewagen wird auch der Letzte den Ueberblick ver- lieren. Um dann noch vorwaerts zu kommen, benoetigen wir Hub- schrauber, Flugzeuge, Sexmaschinen, virtuelle Realitaeten. Oder etwas ganz anderes. Denn das Entscheidende an jeder wirklichen Entwicklung ist, dass man sie inhaltlich nicht antizipieren kann. Wir wissen nicht, was die naechsten Erfin- dungen und neuen Produkte sein werden. Wir wissen nur, es wird welche geben. Der Preis fuer ein derartiges Leben im Wohlstand ist natuer- lich nicht zu vernachlaessigen. Ich kann mich noch sehr gut an die Sechziger Jahre erinnern. Damals reichte ein Arbeits- einkommen aus, um eine Familie zu ernaehren. Kindergarten waren Phaenomene der Unterschicht, in der Mittelschicht auf- waerts blieb stets ein Elternteil zu Hause. Und selbst wenn Vater selbstaendig war, dann kam er doch abends zum Abendbrot stets wieder zu Hause. Dringende Termine, noch schnell etwas fertig zu machen, gab es nicht. Die Maerkte waren abgeschot- tet, die Unternehmen hatten ihre Nischen. Die Gewinne waren hoeher als sie bei liberalisierten Maerkten entstanden wae- ren. Die Preise allerdings auch. Die Ueberschuss-Ertraege konnten an die Arbeitnehmer ausgeschuettet werden. Das nannte sich Soziale Marktwirtschaft. Doch auf welchem Niveau haben wir damals gelebt? Nur ein paar Familien in der Strasse hatten ein Auto. Urlaub, wenn es hoch kam, einmal im Jahr in Oesterreich. Und Essen gehen nur an Geburtstagen oder Feiertagen. War das besser oder schlechter als heute? Ich moechte als Antwort eine Jugendgeschichte zitieren, die ich selbst erlebt habe. Auch hier ging es um Expansion, um die Lust und die Un- lust an dem Neuen. Bei einer Klassenfete bestuermten alle den koerperlich etwas zurueckgebliebenen Peter doch endlich ein- mal mit Hilde, die nicht aussah, als ob sie mit Jungs etwas zu tun haben wollte, zu tanzen. Es entspann sich folgender Dialog: "Hilde, hast du mal Lust zu tanzen?" "Nein, habe ich nicht", antwortet sie. Peter ist sichtlich erleichtert und sagt: "Ein Glueck, ich habe naemlich auch keine Lust." ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Ein Spiegel der Gesellschaft
Von Dr. Bernd Niquet Jetzt ist es nicht mehr lange hin und der Profi-Fussball in unserem Lande macht eine Pause. Es ist den Jungs ja auch kaum zuzumuten, bei diesen kalten und winterlichen Temperaturen anderthalb Stunden in der Woche draussen zu arbeiten. Diese unglaubliche Belastung, da muss man wirklich Erleichterung schaffen. Ansonsten holen sich noch alle eine Lungenentzuen- dung. Und damit ist tatsaechlich keinem geholfen - gerade vor dem Hintergrund der im naechsten Jahr in unserem Land statt- findenden Fussball-Weltmeisterschaft. Und je mehr ich ueber den Fussball nachdenke, mir mehrmals woechentlich die Spiele anschaue, umso ueberzeugter bin ich der Meinung, hier ein exaktes Spiegelbild unserer Gesell- schaft anzutreffen. Das beginnt damit, dass beim Fussball ebenso wie in der Gesellschaft alles deutlich auseinander strebt. In den sechziger und siebziger Jahren haben die guten Fussballer vielleicht das Doppelte, Dreifache oder Vierfache eines qualifizierten Arbeitnehmers verdient, dafuer aber auch bestimmt das Doppelte geleistet. Heute hingegen verdienen sie das Hundertfache - bei deutlich ruecklaeufigem Einsatz. Ich werde das gleich naeher erlaeutern. Die Fussballer gleichen darin den Unternehmensfuehrern, von denen man durchaus Aehnliches sagen kann. Die Verguetungen sind schlichtweg in den Himmel gewachsen, wobei die Leistun- gen hier schlecht vergleichbar sind. Auf jeden Fall haben sie sich nicht verhundertfacht, sicher nicht einmal verdoppelt. Denn was hiesse das fuer die Unternehmensfuehrer der Vergan- genheit?! Die Arbeitnehmer muessen also auch bei Schnee und Eis zur Ar- beit fahren, die Herren Fussballer hingegen machen Pause. Auch hier haben wir es mit einem der beruehmten deutschen Sonderwege zu tun, denn in anderen Laendern stellt sich das alles voellig anders dar. In England beispielsweise beginnt ueber Weihnachten und Neujahr die Saison ueberhaupt erst richtig. Und merkwuerdigerweise bricht dort niemand zusammen. Es hat sich jedoch im Fussball wie in der Wirtschaft und der Gesellschaft enorm viel veraendert. Schauen Sie sich einmal die Spieler nach einem Spiel an. Und vergleichen Sie dies mit anderen Sportlern. Die Skilanglaeufer kippen vor Erschoepfung im Ziel um, die Radfahrer fallen beinahe vom Rad. Und die Fussballer? Sie werden kaum einen finden, der ueberhaupt schwer atmet. Viele sind nicht einmal durchgeschwitzt. Das war frueher anders. Doch woran liegt das? Ist es ausschliess- lich mangelnder Einsatz? Natuerlich hat es mit mangelndem Einsatz zu tun. Die Laufbe- reitschaft der Millionarios ist nicht besonders gross. Dazu muss man nur den Trainern genau lauschen. Jeder zweite klagt ueber die mangelnde Laufbereitschaft seiner Mannschaft. Na- tuerlich ist der Einsatz im Moment des Ballbesitzes weiterhin hundertprozentig, vielleicht sogar noch intensiver als frue- her. Gleiches gilt jedoch auch fuer den Charakterzug des Hin- fallens. Da gleichen sich die Fussballer und die grossen Lobbyisten voellig. Wenn es schwer wird, dann laesst man sich im Strafraum des anderen einfach fallen, faengt an zu schreien und zu wimmern. Das Wichtigste scheint mir jedoch eine technische Veraende- rung des Spiels zu sein, die voellig parallel zu den sonsti- gen Dingen unseres Lebens verlaeuft. Die Taktik ist heute so ausgepraegt und macht die vorhandenen Raeume so eng, dass gar kein Platz zum Rennen mehr da ist. Gab es in den sechziger Jahren noch andauernd ungestueme Angriffslaeufe, so ist heute alles in Abseitsfallen und taktische Konzepte eingemauert. Ganz wie in der Wirtschaft. Wer sich heute selbstaendig ma- chen will, findet ebenfalls voellig andere und nur noch sehr eingeschraenkte Moeglichkeiten wieder. Alles ist bis ins Letzte reglementiert, der Freiraum minimal. Niemand kann heute mehr einfach loslaufen. Und auch im sonstigen Leben gilt das Gleiche: Frueher konnte man zwischen zwei Dingen waehlen, der Rest war offen und frei, zum Selbstgestalten und Loslaufen. Heute hingegen gibt es tausend Moeglichkeiten. Doch alles ist bereits kanalisiert und festgezurrt. Wer hier einfach loslaufen wuerde und Erfolg damit haette, muesste ein Genie sein. Wahrscheinlich wird man ihn jedoch eher als einen Irren bezeichnen. Und beim Fussball floege er einfach aus der Mannschaft. Vielleicht ist die anstehende Weihnachtspause daher doch gar keine so schlechte Idee. Viel- leicht sollte die ganze Gesellschaft es dem Fussball einmal nachmachen. Und einfach eine Pause einlegen. Zum Nachdenken. Es wird doch so oft von der "besinnlichen Adventszeit" ge- sprochen. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Eine erstaunliche Tatsache
Von Dr. Bernd Niquet Das groesste Wunder an den weltweiten Finanzmaerkten ist es, dass sich zu jedem Zeitpunkt Optimismus und Pessimismus immer wieder ausgleichen. Denn kaufen wird stets nur derjenige, der optimistisch ist, wohingegen derjenige, der verkauft, pessi- mistisch gestimmt oder eben einer anderen Notwendigkeit un- terlegen sein muss. Warum ist das so erstaunlich? Weil die Daten, die den Akteu- ren zugaengig sind, sich fuer alle Marktteilnehmer voellig identisch darstellen. In frueheren Zeiten gab es sicherlich einmal ein "Geheimwissen", also interne Informationen ueber Tatsachen und Funktionsweisen hinsichtlich der Boerse, die nur wenigen bekannt waren. Doch heute, im Zuge der Informa- tionsgesellschaft, mit staendig laufenden Boersensendungen im Fernsehen sowie dem Internet gibt es so etwas nicht mehr. Das heisst: Alle Akteure an den Maerkten verfuegen ueber prinzipiell identische Daten oder Inputs - und leiten daraus dennoch diametral entgegengesetzte Szenarien ab. Etwas Erstaunlicheres gibt es eigentlich in unserer sozialen Welt nicht. Wie kommt es nun dazu? Die Antwort ist genauso klar wie (fuer viele) sicherlich er- schreckend und schockierend. Sie ergibt sich zudem mit logi- scher Zwangslaeufigkeit. Das, was wir fuer Aussagen ueber die Welt halten, sind letztlich jedoch fast ausschliesslich Aus- sagen ueber uns selbst, das heisst ueber denjenigen, der sie trifft. Ich schreibe bewusst "fast", da natuerlich viele Einschaet- zungen der Marktteilnehmer Reaktionen auf Preisveraenderungen der Vergangenheit und damit doch Aussagen "ueber die Welt" sind. Wer fuer eine Aktie bei 80 optimistisch ist, kann na- tuerlich bei 120 zum Pessimisten werden. Derartige Entschei- dungen haben also weniger mit dem Entscheider als mit dem Ge- schehen an den Maerkten selbst zu tun. Wichtiger als derartige spezielle und marktbezogene Ein- schaetzungen ist fuer mich jedoch die Grundhaltung, die fuer jeden Boersianer und Finanzmarktteilnehmer charakteristisch ist. Ich moechte hier zwischen "normalen" und "extremen" Grundhaltungen unterscheiden. Fuer normal halte ich diejeni- gen, die variabel sind, die zwischen Optimismus und Pessimis- mus hin- und herpendeln. Ganz so wie die Launen im normalen Leben. Da ist man manchmal froehlich und manchmal betruebt, manchmal optimistisch und manchmal eher skeptisch gestimmt, hat Hoffnungen und Aengste, die sich wechselseitig ueberla- gern. Diesen "normalen" Grundhaltungen stehen die "extremen" gegen- ueber, in denen Akteure dauerhaft ein Szenario verkuenden. Wir kennen sie alle, im normalen Leben wie an der Boerse, die zwanghaften Optimisten und die ewigen Miesepeter und Mis- anthropen, die an allem immer nur das Schlechte sehen. Zwang- hafter Optimismus scheint mir in vieler Hinsicht ein Wunsch- denken zu sein, doch ich finde ihn weder theoretisch noch empirisch sehr interessant. Viel ergiebiger und nutzbringen- der ist mir dagegen die Beschaeftigung mit den Propheten des Untergangs. Denn die Ansteckung mit dem Pessimismus scheint mir sehr viel schwerwiegender und folgenreicher zu sein als der umgekehrte Fall. Warum also sind einige oder viele Marktteilnehmer dauerhaft so pessimistisch? Warum sehen diese Menschen mit zwanghafter Notwendigkeit das Ende der Prosperitaet und den Untergang auf uns zukommen? Eine Sache ist bereits zu diesem Zeitpunkt klar: Es ist stets ein persoenliches (!) Problem, welches dahinter steht. Und kein Problem der Welt an sich. Es sind nicht die Fakten, die beunruhigen, sondern die Meinungen, die von diesen Fakten existieren. Doch wie genau funktioniert hier die Uebertragung beziehungsweise die Rueckfuehrung von Einschaetzungen auf Personen, die sie treffen. Konkret: Warum (!) sind manche Menschen so pessimistisch? Da ich zu dieser Ableitung weit mehr Platz benoetige, vertage ich mich auf die naechste Woche damit. Das ist doch auch ein wunderbar weihnachtlich-besinnliches Thema, denke ich, wenn diese Kolumne dann kurz vor Heiligabend oder ueber die Weih- nachtstage kommt. Bis dahin wuensche ich - gleichsam als "Vorbereitung" - noch eine gesegnete Adventszeit! ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Eine ungeheuerliche Behauptung zum Gold
Von Dr. Bernd Niquet Warum sind manche Marktteilnehmer am den Finanzmaerkten so zwanghaft pessimistisch? Warum kaufen so viele derzeit Gold und denken an einen notwendig bevorstehenden Untergang? In der letzten Woche habe ich abgeleitet, dass hier stets ein persoenlicher (!) Tatbestand dahinter steht. Denn - nochmalig gesagt - die Daten und Information, auf die wir alle bei der Ableitung unserer Einschaetzungen zurueckgreifen koennen, sprechen weder eine optimistische noch eine pessimistische Sprache. Sie lassen stets die Ableitung sowohl eines positi- ven als auch eines negativen Szenarios zu. Die "Wahl" ist also stets eine subjektive. Und sie kann entweder "normal" sein, also im Zeitablauf sich veraendern, oder eben "extrem" oder noch besser gesagt, "verfestigt" sein. Doch wie kommt es nun dazu? Ich schlage mich schon sehr lange mit diesem Thema herum und habe neulich an voellig unvermute- ter Stelle einen interessanten Fund gemacht. In seinem vier- baendigen Buch "Der Idiot der Familie" analysiert Jean Paul Sartre das Leben sowie das Werk des Schriftstellers Gustave Flaubert - und stellt beides in Beziehung zueinander. Die Grundfrage ist mithin voellig identisch zur hier gestellten Frage nach den Gruenden fuer das Herausbilden von Handlung und Einschaetzung repraesentativer Finanzmarktteilnehmer: Warum so zwanghaft truebsinnig und misanthropisch? Warum ist Flaubert geworden wie er geworden ist? Warum sind die meisten Menschen moderat optimistisch bezueglich unserer Zukunft? Und warum glauben gleichzeitig - und sind mit dem- selben Informationsstand versehen - andere an einen Zusammen- bruch der Weltfinanzen, an einen voelligen Wertverlust des Papiergeldes und daran, dass das Gold die einzig sichere Ver- moegensanlage ist? Sartre nimmt Flauberts Familiesituation minutioes auseinander und schliesst, dass Flaubert deshalb zum Menschenfeind gewor- den ist, weil er nie die Chance hatte, sich gegen die Unter- drueckung in der Familie aufzulehnen oder diese Situation zu aendern - und nun das unabwendbare Uebel auf die ganz norma- len menschlichen Beziehungen uebertraegt. Konkret: "(D)a das Kind sie (die familiaere Situation) nicht anklagen und ver- aendern kann, verbirgt es sich, indem es sich einredet, das radikale Uebel regiere allgemein die menschlichen Beziehun- gen." (Quelle: Taschenbuchausgabe, Teil IV, S. 37.) Was wir hier finden, ist ein induktiver Schluss, also ein Schluss vom Besonderen auf das Allgemeine: "Mir ist ein Uebel angetan worden, also wird allen ein Uebel angetan werden." Rein induktive Schluesse sind nun jedoch vom Standpunkt der Logik aus gar nicht durchfuehrbar, da naemlich jeder induk- tive Schluss seinerseits einen deduktiven Schluss "Du sollst verallgemeinern!" beinhaltet. Duerfen wir also verallgemei- nern und sagen: "Zwanghafter Pessimismus ist etwas Pathologi- sches"? Nein, das duerfen wir nicht. Und dennoch bin ich fest der An- sicht, dass hier der Schluessel zum Verstaendnis der verhaer- teten Haltungen vieler Menschen liegt. Ich muss mir dazu nur die verdraengte Aggressivitaet anschauen, die dann zu Tage tritt, wenn ich mich negativ ueber das Gold und positiv ueber die Institutionen unserer westlichen Laender einschliesslich ihrer Geldwesen auslasse. Dann rollt wirklich eine Welle des Hasses los, die ich anderweitig noch niemals erlebt habe. Schreibe ich hingegen negativ ueber Aktien, dann ruehrt sich kaum etwas. Denn Aktien werden in der Regel von Optimisten gekauft und auch wieder verkauft, jedoch selten als Weltan- schauung betrachtet. Hier liegen laengst nicht so viele verdraengte Aggressionen begraben, dafuer jedoch ein weit groesseres Mass an Selbstreflexion. Wer Aktien kauft, weiss, auf was er sich einlaesst. Derjenige hingegen, der im Gold die einzige Rettung sieht, glaubt, unabhaengig von seiner Person die Zeichen der Zeit zu erkennen, reagiert jedoch hauptsaechlich auf seine unbewusste innere Befindlichkeit. Seine Selbstwahrnehmung ist blind. Moege ein goldener Stern sie wenigstens zum Heiligen Fest zeitweise erleuchten! In diesem Sinne wuensche ich Ihnen noch wunderbare und vor allem besinnliche Festtage! ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Schöne Neue Welt
12:16 28.12.05 In der letzten Zeit habe ich an zwei großen Themen gekaut: Einerseits: Warum sind viele Menschen so zwanghaft pessimistisch? Woher kommt das und wie wird man so? Und andererseits: Wie muss ein literarisches Werk aussehen, welches die Welt realistisch abbilden will? Gibt es hier überhaupt einen Objektivismus, wie von vielen Seiten behauptet? Und wie stellt man in diesem Zusammenhang das Groteske dar? Letztlich sind das jedoch alles Scheinprobleme. Das heißt: Sie sind unwichtig, haben keine Bedeutung. Wer sich damit herumplagt, ist ein Dummkopf, denn er vergeudet seine Zeit. Wichtig ist vielmehr etwas ganz anderes. Herausgefunden habe ich das allerdings erst zum Ende der Woche, als ich mein neues Handy bekommen habe. UMTS für fünf Euro pauschal im Monat. „Was?“ frage ich den Mann bei Vodafone, „dafür habt ihr doch vor nicht langer Zeit hohe Milliardenbeträge gezahlt. Und jetzt gibt es das für fünf Euro quitt im Monat?“ „Die Menge macht es!“ antwortet er. Und ich denke: Was für eine wundervolle Welt. Jetzt darf ich also so lange wie der Akku hält – und das ist bei meinem neuen Motorola-Handy immerhin eine gute Stunde – mit meinem Handy im Internet surfen. „Allerdings nur im Vodafone-Netz“, sagt der Verkäufer, „aber da ist fast alles drin.“ „Fast alles drin“, das klingt gut. Ich betrete eine Welt, die mir vorher verschlossen war. Als erstes lese ich: „Himmlisch: Xmas-Special!“. Ich klicke auf den Text und es erscheint: „Bei Anruf Weihnachten“ Festliche Ring-Up-Tones fürs Handy“ und „ebay Es weihnachtet schon: Jetzt Geschenke sichern“. Ich gehe zurück und sehe, dass ich jetzt die „Bunte“ ohne Aufpreis lesen kann. Darunter werde ich mit der Frage konfrontiert: „Asian Babe – Top oder Flop?“. Ich sehe das Gesicht eines Mädchens, klicke auf den Text und werde erst gefragt, ob ich schon über 16 bin, und dann, entweder auf „Top“ oder auf „Flop“ zu klicken. Bei ersterem gibt es neun Punkte, bei letzterem drei. Ich weiß nicht, wofür, was das alles zu bedeuten hat, warum ich das machen soll und orientiere mich weiter. Striptease kann ich für 0,68 Cents die Sequenz im Abo herunter laden. Das läuft unter „Erotik“. Für den gleichen Preis gibt es den Leitkommentar der FAZ. Bundesligaergebnisse sind frei bis zum Jahresende und kosten dann drei Euro pro Tag, Woche oder Monat und irgendeinen mittelstelligen Centbetrag pro Minute. Alles ist irgendwie kostenfrei bis zum Jahresende, doch anschließend ist man dann Abonnent. Und ganz langsam beginne ich, die neue Welt zu begreifen. Endlich verstehe ich, warum die Leute sich stets angewidert abwenden, wenn ich in meinen Kolumnen einmal versuche, schwierige Dinge anzupacken und zu erklären. Denn die wirkliche Welt läuft ja völlig anders. Das wirkliche Leben erfordert, prägnante Einzeldinge kurz auszudrücken und für 0,68 Euro pro Klick zu verkaufen – am besten im Abonnement. Der Vorteil dieser Konzeption gegenüber der Vergangenheit liegt offen zu Tage. Welche Zeitersparnis für uns alle! Wir müssen keine komplizierten Fragen mehr stellen, weil für die Antwort eh viel zu teuer werden würde. Und wie viel einfacher auch das Börsengeschehen! Vodafone! How are you? The answer for 68 cents. Und einen guten Rutsch dann! Mit den besten Grüßen! Bernd Niquet berndniquet@t-online.de |
Der metaphysische Status des Weihnachtsmannes
von Dr. Bernd Niquet Meine Guete, was bin ich in den letzten Tagen oft in die Bredouille geraten. "Papa, wenn man den Weihnachtsmann so- wieso nicht sehen kann, warum muss ich denn dann in mein Zimmer, wenn er kommt?" fragt meine Tochter. Und in dieser Art ging es die ganzen Tage vor Weihnachten. Stuendlich stand meine ganze Philosophie kurz vor dem Zusammenstuerzen. Aber was soll man auch machen? Es ist ja durchaus nicht ein- fach. Und in der Schule lernt man zwar Latein und viele schlaue Dinge, doch ueber Theorie und Alltag gibt es gar nichts. Vielleicht ist das auch der Grund dafuer, warum so viele Boersianer an den Maerkten Schiffbruch erleiden. In der Schule nichts gelernt und nicht mal mit dem Weihnachtsmann richtig beschaeftigt - dann kann das alles eben auch nichts werden. Die meisten Menschen denken, die Dinge waeren so, wie sie sie sehen. Der Irrtum koennte jedoch nicht groesser sein. Nehmen wir zuerst den Weihnachtsmann und hinterher die Boerse. Das Wichtigste ist stets, dass eine Theorie in sich widerspruchs- frei ist. Ob Theorien richtig sind, das merken wir immer erst durch langjaehrige Erfahrungen. Wobei "richtig" natuerlich immer nur "vorlaeufig richtig" heisst, also "bisher gut bestaetigt". Was morgen ist, das kann man nie genau wissen. Falsche Theorien kann man hingegen stets an den inneren Widerspruechen erkennen. Und viel mehr, so fuerchte ich, kann man sowieso nicht tun. Deswegen schreibe ich ja auch meisten ueber Unsinn und selten ueber Sinn. Weil der Unsinn immer klar fassbar ist, der Sinn hingegen stets ein weites Feld. Nun also zum Weihnachtsmann: Dass alle Gestalten, die wir in den vergangenen Wochen mit weissem Bart und rotem Mantel ge- sehen haben, der Weihnachtsmann sind, ist voellig unhaltbar. Erst sehen wir einen Weihnachtsmann, dann biegen wir um die Ecke und sehen noch einen. Jetzt muessen wir aufmerken und schliessen: Das geht nicht! Wenn es tatsaechlich einen Weih- nachtsmann gibt, dann kann es nur einen einzigen geben. Schliesslich haben wir den Wunschzettel an den (!) Weih- nachtsmann geschrieben. Gaebe es hingegen viele, dann wuessten wir gar nicht, an welchen wir uns nun wenden sollen. So kommen wir also nicht weiter. Der logisch zwingende Schluss lautet: Was wir hier gesehen haben, waren nur verkleidete Maenner. Doch was ist dann mit dem wirklichen Weihnachtsmann? Man kann es drehen und wenden, wie man will, es bleibt nur eine Loesung: Entweder es gibt gar keinen wirklichen und richtigen, echten Weihnachtsmann, oder aber dieser Weihnachtsmann muss unsichtbar sein. Denn nur dann ist sichergestellt, dass man ihm nicht an mehrere Orten gleichzeitig begegnen kann. Eine Untertheorie der Per- sonenverdoppelungen waeren in diesem Fall zwar denkbar, wuerde die Theorie jedoch voellig unhandhabbar und beliebig machen. Eine Frage bleibt allerdings auch jetzt noch uebrig, und ge- nau auf die ist meine Tochter natuerlich sofort wieder gekom- men: "Papa, wenn der Weihnachtsmann unsichtbar ist, woher wissen wir dann, dass er einen weissen Bart und einem roten Mantel traegt?" An dieser Stelle war ich mit meinem Latein tatsaechlich am Ende. Konsequenterweise haette ich jetzt die Jesusgeschichte adaptieren und erzaehlen koennen, dass sich der Weihnachtsmann frueher einmal eben doch einem ausgewaehl- ten Kreis von Juengern offenbart hat. Aber meine Tochter ist erst fuenf, und ich will sie nicht uebermaessig verwirren. Deswegen freue ich mich schon sehr auf die Zeit, in der sie schon groesser sein wird. Dann kann ich ihr naemlich ganz frank und frei sagen: "Eigentlich ist es hier genauso wie an der Boerse: Da denkt auch jeder das Gleiche und niemand schert sich nur ein Deut darum, woher dieses Wissen stammt und ob es auch nur in Ansaetzen folgerichtig ist." "Und?" wird sie dann zurueck fragen, "bekommen die Leute an der Boerse deshalb auch so schoene Geschenke wie die Kinder?" "Eben nicht!" werde ich antworten. "Eben nicht! Ausser in manchen Jahren. Da rinnt es selbst dem Esel vor der Krippe direkt von der Nase in den Mund." ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Der Spekulant als Held
von Doug Casey Die Achtziger waren die Zeit der Spekulanten – und jetzt, 20 Jahre später, öffnet sich wieder ein Fenster mit solchen Möglichkeiten. Erfolgreiche Spekulanten sollten aus dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts reicher hervorgehen, als sie es sich in ihren wildesten Träumen haben träumen lassen. Glücklicherweise ist es ein Geschäft, das Allen offen steht. Keine formale Ausbildung, keine Berechtigungsausweise oder Lizenzen werden verlangt. Die Übung kommt beim Tun und was noch besser ist – schon in der Lehre gilt: Verdiene während Du lernst. Es ist eine verlockende Jobmöglichkeit, aber sie trägt bedauerlicherweise ein Stigma. Ich bin bekannt dafür, dass ich über viele, verdächtig wenig gesellschaftsfähige Konzepte rede: Finanzkrisen, Hyperinflationen, die alternative Wirtschaft, das Horten. Es sind alles Reizwörter, die lebendige Bilder und starke Emotionen wachrufen. Das mächtigste unter diesen Wörtern ist aber immer noch "Spekulant". Es kling verantwortungslos, opportunistisch und gefährlich. Die Politer und die Medien werfen so verschwenderisch mit diesem Wort um sich, dass ich vermute, es gibt nicht viele Leute, die es je gewagt haben zu fragen, was wirklich dahinter steckt. Ein Spekulant ist ganz einfach jemand, der eine Verzerrung am Markt entweder sieht oder erwartet und der sich selbst so positioniert, dass er daraus einen Vorteil ziehen kann. Er kann das, weil er die Gründe und die Wirkungen kennt. Spekulationen werden in den folgenden Jahren die Fundamente zu Dynastien legen. Der einzigartige Baron Rothschild wusste, wie man von dem Chaos, das durch die Politik der Revolutionsjahre in Frankreich ausgelöst wurde, profitieren konnte. Er wurde reich und berühmt, weil er seiner eigenen Maxime "kaufen, wenn das Blut durch die Straßen fließt", folgte. Das heißt nicht, dass ein Spekulant gierig sein muss; im Gegenteil, er handelt humanitär. Wenn die Menschen so verzweifelt sind, dass sie ihren Besitz verkaufen, dann taucht er mit Bargeld auf – was genau das ist, was sie am meisten wollen. Wenn sie ihre Meinung ändern, und anfangen zu schreien, dass sie die Dinge in guten Zeiten von ihm zurückkaufen wollen, dann folgt er wieder großzügig den Wünschen der Mehrheit. Der Spekulant versucht, wie jeder andere Arbeiter, seinem Arbeitgeber das zu geben, was dieser haben will. Wert ist subjektiv und der Preis, zu dem Güter ohne Einfluss von Außen die Hände wechseln, bestimmt den aktuellen Wert eines Gutes. Der Spekulant tauscht einfach nur einen Wert gegen einen anderen. Wenn er nicht da wäre um zu kaufen, dann wäre vielleicht auch sonst niemand da und die Verkäufer hätten arge Probleme. Irgendwie ist es dazu gekommen, dass Spekulanten das Image von achtlosen Spielern bekamen, die in wilder Aktion Geld an sich reißen. Es ist ein absolut unpassendes Bild, zumindest da, wo es um erfolgreiche Spekulanten geht. Gute Spekulation ist immer Spekulation mit geringem Risiko. Anstatt Risiken einzugehen, kümmert sich der Spekulant um "sichere Geschäfte". Spekulanten sind rational und unemotional, wenn sie erfolgreich sind, die irrationalen und die emotionalen, die gerne spielen und Risiken eingehen, spielen oft nicht sehr lange mit und sind schon bald Ex-Spekulanten. Ganz einfach formuliert besteht eine gute Möglichkeit die Methoden des Spekulanten von denen des Anlegers unterscheiden in Folgendem. Ein Anleger riskiert 100 % seines Geldes, in der Hoffnung einen Gewinn von 10 % zu machen. Ein Spekulant riskiert 10 % in Erwartung eines Gewinnes von 100 %. Wenn sie nur ein bisschen aufmerksam sind, dann ist das langfristige Risiko/Belohnungs-Profil des Spekulanten in einer ganz anderen Liga als das des "konservativen" Anlegers. In diesen Tagen, in denen sich die plappernden Massen verzweifelt nach sicheren Häfen gegen den aufziehenden Sturm umsehen, sammelt ein Spekulant Positionen in guten Goldunternehmen. Während Gold heute öfter in den Nachrichten ist, als in den vergangen Jahren, blickt der durchschnittliche Investor immer noch mit Argwohn darauf und denkt, Goldanleger seien irgendwie komisch. Sie werden gleich erfahren, dass genau das dazu führt, dass es eine ideale Zeit ist, Gold aufzustocken, wenn es auch besser gewesen wäre, schon Anfang 2004 gekauft zu haben, als nur wenige etwas von Gold wissen wollten ... eine Tatsache, die ihnen jeder bescheinigen wird, der es schon damals getan hat. Für das Einkommen zu investieren ist ein finanzieller Todeskuss. Warum hat sich keiner der großartigen Millionäre der Vergangenheit den einfachen Trick des Zinseszins zunutzen gemacht, um irgendwann die Welt zu erobern? (Wenn die Indianer die 26 Dollar, die man ihnen für Manhattan bezahlt hat, damals zu einem Staffelzins von 5 % angelegt hätten, dann hätten sie heute schon 2.790.729.193 Dollar.) Es ist bestimmt nicht so, dass sie es nicht versucht hätten. Es ist so, weil einem keine Anlage ein Leben lang einen Ertrag von realen 5 % zusichern kann. Tatsächlich gibt es wohl nicht einmal eine Anlage, bei der man sich darauf verlassen könnte, dass sie einem über mehr als vierzig oder fünfzig Jahre 3 % einbringt. Sie sagen jetzt vielleicht: "Was macht denn das für einen Unterschied? Ich werde eh nicht mehr so lange leben." Aber es macht einen Unterschied, weil es die Vergeblichkeit des Versuchs zeigt, mit einer "sicheren" Anlage die Nase vorn zu behalten. Alles ist Spekulation, ob die Leute es wissen oder nicht. Diejenigen, die sich mit einer niedrigen, aber "sicheren" Anlage zufrieden geben, sparen am falschen Ende. Wenn sie auf "konservative" Erträge aus sind, dann können Sie durch die kleinste Fehlkalkulation, Pech oder eine Regierungserklärung alles verlieren. Steuern werden ihr Kapital immer schrumpfen lassen, direkt oder indirekt. Inflation wird in der absehbaren Zukunft eher schlimmer werden und stark fluktuieren. Banken und Versicherungen – genau die Institutionen, die mit der Zusage geringer Erträge durchkamen, eben weil sie so stabil waren – werden wie schon immer versagen ... ganz besonders wenn man die gegenwärtige Überteuerung der meisten amerikanischen Immobilien bedenkt und die Kredite, die zunehmend wackliger wirken. Die Regierung selbst wird irgendwann abgelöst werden und die Währung wird ihren Wert verlieren. Und es gibt keine Möglichkeit, sich wirklich gegen Kriege, Diebstahl, Betrug oder Naturkatastrophen zu schützen. Investitionen für das Einkommen sind – ganz besonders im gegenwärtigen Klima, bei dem sich die Macken schon im Fundament der Gesellschaft zeigen – der Gipfel der Dummheit. Wenn Sie fürs Einkommen investieren, dann legen Sie die Verantwortung für ihre Zukunft in die Hände anderer. Sie wissen nicht, was diese Leute mit Ihrem Geld tun werden, sie können nicht absehen, wie intelligent sie sich in Zukunft verhalten werden und Sie wissen noch nicht einmal, wie fundiert die Kapitalstruktur ist. Diese Grundlagen sind schlimm genug für unbesonnenes Spiel, aber als Gegenleistung für einen einfachen Ertrag ist es absurd. Was soll man dann tun? Mit welcher Methode kann man diesem Wahnsinn entkommen. Die einzige Antwort, die ich kenne ist, dass man ein solides finanzielles Fundament aufbaut, dann sein Bargeld und seinen Mut zusammennimmt und die Kunst der Spekulation erlernt. |
Ausblick auf 2006
von Dr. Bernd Niquet Ich wuensche Ihnen ein gutes und erfolgreiches Jahr 2006, liebe Leser. Hinter uns liegt ein fulminantes Finanzjahr 2005. Ich weiss natuerlich ebenso wie alle anderen nicht, was uns das Neue Jahr bringen wird. Doch mir scheint sicher, dass das, was im letzten Jahr abgelaufen ist, keine Wiederholung finden wird. In den beinahe dreissig Jahren, die ich jetzt mit der Boerse zu tun habe, habe ich so etwas noch nicht erlebt. Natuerlich gab es schon oft spektakulaerere Anstiege der Aktien, enormere Haussen der Edelmetalle und riesige Waehrungsgewinne zu verzeichnen. Doch dass in einem Jahr ALLES gestiegen ist, so etwas habe ich noch niemals erlebt. Denn es ist wirklich alles gestiegen, die Aktien, die Bonds, die Rohstoffe und Edelmetalle, und sogar die Fremdwaehrungen haben deutlich zugelegt. Mit meinem eigenen Portfolio habe ich - nach Steuern - insge- samt 19 Prozent zugelegt. Meine Struktur sah per Jahres- schluss folgendermassen aus: 43 % Aktien (28% Blue Chips Europa, 7% Fernost, 8% Rohstoffaktien), 11 % Bonds, 8 % Roh- stoffe direkt und 38 % Cash. Die Gewinne stellen sich in etwa so dar: Aktien insgesamt + 31% (Blue Chips +25%, Fernost +30%, Rohstoffaktien +48%), Bonds + 11%, Rohstoffe + 9%, Cash + 2% und realisierte Ge- winne 3%. So sieht eine vorsichtige Anlagestrategie aus. Ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Dass andere Anleger weit mehr gemacht haben, tangiert mich ueberhaupt nicht. Denn ich weiss: Selbst wenn es voellig anders gekommen waere, haette ich dennoch einigermassen passabel ausgesehen. Doch diejeni- gen, die sehr stark ins Risiko gegangen sind, waeren dann Pleite gegangen. Und was wird nun 2006? Ich denke, zuerst einmal werden die derzeitigen Trends weiterlaufen. Vielleicht werden die Boer- sen noch weiter steigen als wir uns alle ertraeumen. Doch spaetestens dann werde ich bei den Aktien etwas kuerzer tre- ten. Skeptisch bin ich auch beim Dollar und habe meine Dol- lar-Bonds glattgestellt. Ueberhaupt scheint mir in dieser Hinsicht ein Tagesgeldkonto in Euro besser als alle Bonds. Fuer den geringen Renditeaufschlag lohnt es sich nicht, das Bondrisiko und das eventuell hinzukommende Waehrungsrisiko in Kauf zu nehmen. Sie werden mich jetzt nach meinen letzten Kolumnen fuer ver- rueckt halten, aber ich kann mir gut vorstellen, dass das Gold moeglicherweise am besten laeuft im kommenden Jahr. Man muss hier jedoch klipp und klar zwei Dinge unterscheiden: Wer glaubt, dass ein Systemcrash bevorsteht und dass Gold da- fuer eine gute Versicherung ist, befindet sich aus meiner Sicht in einem gigantischen Irrtum. Ich sehe die Goldhausse vielmehr als eine ganz normale Manie gelangweilter Finanz- leute. Sie ist zu hundert Prozent vergleichbar mit der Inter- net-Hausse vor der Jahrtausendwende. Sie beginnt voellig identisch. Und sie wird auch identisch aufhoeren. Irgendwann wird der Rausch ploetzlich enden - und dann geht es rueck- waerts. Rette sich, wer kann! Bis dahin kann man gerne versuchen, mitzuspielen. Doch nie- mand sollte sich einbilden, hier eine Wertaufbewahrung fuer die Ewigkeit gefunden zu haben. Denken Sie immer daran: Aktien legen deshalb an Wert zu, weil Unternehmen im Zeit- ablauf stets mehr verdienen. Selbst wenn die Unternehmens- gewinne nur mit dem BSP mitlaufen, erlangt man hier eine gute Vermoegenssicherung. Gold hingegen steigt nur dann, wenn immer mehr und neue Kaeu- fer generiert werden. Aktienkurse sind wirtschaftlich fun- diert, auch wenn sie im Zeitablauf extrem schwanken. Gold- kurse hingegen besitzen kein wirtschaftliches Fundament. Sie sind ausschliesslich Resultat von Schneeballeffekten. Und der naechste Sommer wird kommen. Egal wann, aber er wird kommen. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Einige Bemerkungen zur Gold-Hausse
von Dr. Bernd Niquet In dieser Woche haben wir den hoechsten Goldpreis seit 25 Jahren erlebt. Bis zu den Topkursen aus den 70er Jahren ist allerdings noch viel Platz nach oben. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie das damals war. Da sass ich am Bankschalter und bei mir liefen die Kunden auf, die um den Erhalt ihrer Ver- moegen zitterten. Es freut mich sehr, dass sie alle jetzt endlich ihre Einstiegskurse wieder sehen. Die Goldpreisexplosion der 70er Jahre war die erste Hausse, die ich in meinen Leben mitgemacht habe. Damals gab es zwei- stellige Inflationsraten und die Menschen suchten nach einer Anlageform, ihr Vermoegen zu sichern. Denn die Kaufkraft nahm rapide ab, und durch die Oelkrise drohte alles noch schlimmer zu werden. Der Report des "Club of Rome" verkuendete gar ein baldiges Ende der Oelversorgung und wies somit auf eine dau- erhafte Hyperinflation. Dann ist jedoch alles - wie eigent- lich fast immer - doch voellig anders gekommen. Heute steigt der Goldpreis wieder, wir haben jedoch keine signifikante Inflation. Die Energiepreise sind deutlich ge- stiegen, aber die meisten Faktoren deuten eher auf ein defla- tionaeres als auf ein inflationaeres Szenario. Doch in der Deflation, das weiss heute jedes Kind, ist derjenige der Koe- nig, der liquide ist. Und nicht derjenige, der sein Vermoegen in Edelmetallen oder Betongold bindet. Warum trotzdem der Anstieg der Goldpreise? Es scheint eine grosse Furcht der Menschen vor dem Verlust ihrer Ersparnisse zu grassieren. Doch warum das? Weil die ganzen Finanzstruk- turen weltweit so verwirrend sind - und man daher lieber den Taler in der Hand haelt als sich auf die Abenteuer der boes- artigen Welt da draussen einzulassen? Vieles ist natuerlich von den entsprechenden Interessen- gruppen lanciert und beruht zudem auf voellig falschen Vor- stellungen von unserem Geldwesen. Ich werde nicht muede, im- mer wieder darauf hinzuweisen. Ebenso wie bei der Internet- hausse vor der Jahrtausendwende ist sehr deutlich zu erken- nen, dass der Hausse das Fundament fehlt. Es gibt heute schlichtweg genauso wenig Grund, das Gold in die Hoehe zu jubeln, wie es vorher Grund gab, die Internet- und Neue Markt-Werte in den Himmel zu treiben. Das sollte jeder wis- sen, der hier mitlaeuft. Und wenn ihm das klar ist, dann ist es okay, mitzuspielen. Ich fuerchte jedoch, dass viele Unsichere hier mit voellig falschen Vorstellungen investieren. Sie glauben, die Geldmen- genausweitungen weltweit wuerden unsere Waehrungen schwaechen und schliesslich das ganze "Papiergeld"-System zum Einsturz bringen. Und sie glauben, dass sie fuer diesen Fall im Gold richtig investiert sind. Ich behaupte, dass diese Investoren gleich einem zweifachen Irrtum aufgesessen sind: Erstens wer- den unsere Waehrungen nicht krachen. Und zweitens, selbst wenn das passieren wuerde, waere Gold nicht die geeignete An- lage fuer diesen Fall der Faelle. Es ist ein Trugschluss, die Qualitaet einer Waehrung an der Menge ihrer umlaufenden Zahlungsmittel festzumachen. Das ist ein schier nicht mehr zu beseitigender Irrglaube. Wichtig fuer die Qualitaet einer Waehrung ist ausschliesslich das, was im Tresor der Notenbank liegt, und wie die Notenbank agiert. Besitzt die Notenbank gute Sicherheiten, dann ist die Waehrung gut. Wichtig fuer die Qualitaet einer Waehrung ist also nicht die Menge der umlaufenden Zahlungsmittel, sondern die Menge guter und beleihbarer Sicherheiten. Und die Notenbank muss ihren Refinanzierungssatz ueber denje- nigen des Geldmarktes setzen, damit nur zu steigenden Zins- saetzen neues Geld in Umlauf kommt. Ist das gewaehrleistet, ist alles gut. Dann laeuft genauso viel Geld um wie die Men- schen gerne halten wollen. Und kein Euro und kein Dollar mehr. Alles andere ist schlichtweg Propaganda. Waeren die Menschen tatsaechlich der Meinung, es kursiere zu viel Geld, dann wuerden sie ihre Bestaende herunter fahren und die da- fuer bei der Notenbank hinterlegten Assets ausloesen. Es gibt also keinen faktischen Grund, derzeit Gold zu kaufen. Ausser denjenigen, dass die anderen Idioten ja auch kaufen. |
Falsche Überlegungen der Goldkäufer
11:27 16.01.06 Die Geldmengen steigen weltweit deutlich an. Damit wird unser Papiergeld seinen Wert verlieren, behaupten Vertreter der Goldlobby und haben es tatsächlich geschafft, einen Lemming-Zug in Gang zu setzen, der sich historisch durchaus sehen lassen kann. Doch die Argumentation, dass ein „Mehr“ oder ein „Zuviel“ an Geld den Wert einer Währung ruiniert, ist falsch. Da nützt auch kein Blick in das Geschichtsbuch. Ja, natürlich, alle Währungszusammenbrüche waren stets von einer Geldmengenexplosion begleitet. BEGLEITET! Die URSACHE aller Währungskrisen lag jedoch ganz woanders. Er lag nicht in der Menge des umlaufenden Geldes, sondern in der mangelnden Qualität der Aktivseite der Notenbankbilanz. Wollte man Geldmengensteigerungen als Ursache für eine kommende Währungskrise deuten, dann könnte man auch das Naselaufen als Ursache der Erkältung diagnostizieren. Ein feiner Arzt wäre das, der so etwas tun würde. Der Fehler des konventionellen Börsen-Feuilletons liegt darin, dass hier alle ausnahmslos den Friedmanschen Hubschrauber im Kopf haben. Wenn es plötzlich Geld vom Himmel regnen würde, dann wäre selbstverständlich „zu viel“ Geld da. Und der einzelne Geldschein würde an Wert verlieren. Doch dem ist nicht so. Geld regnet nicht von Himmel. Geld kommt dadurch in Umlauf, indem Marktakteure gute zinstragende Aktiva bei der Notenbank deponieren und dafür Geld bekommen. Spielen wir daher einmal durch, was passieren würde, wenn europäische Staatsanleihen plötzlich drohen würden, notleidend zu werden. Die Goldgetreuen werden jetzt sagen: Dann kracht das System. Das Papiergeld wird wertlos. Ich hingegen sage: Das Papiergeld würde plötzlich wertvoller werden als jemals zuvor! Doch wie das? Da jede Geldemission einer guten Währung wie des Euros oder des Dollars sich den Marktmechanismen bedient, befinden sich im Portefeuille der Notenbank auch nur marktfähige Wertpapiere. Droht nun eine Krise, dann wird jeder Marktteilnehmer, der bei der Notenbank derartige Papiere hinterlegt hat, sofort versuchen, diese dort herauszuholen. Um sie auf dem freien Markt zu veräußern und wenigstens noch etwas dafür zu bekommen. In diesem Fall würde die Notenbank also überschwemmt werden mit eigenem Geld, welches an sie zurückfließt, um die notleidend zu werden drohenden Sicherheiten herauszulösen. Das Problem in diesem Moment heißt dann nicht zu viel Papiergeld sondern zu wenig. Wer dann Bargeld hat, der ist der König! Der kann kaufen, was er will! Die Goldbesitzer hingegen finden sich regungslos in ihrem Haufen eingeschlossen wie weiland König Midas. Jede gegen marktmäßige Sicherheiten emittierte Währung hat damit gleichsam einen Selbstschutz gegen Erodierungen ihrer Basis. Das ist spätestens seit 1845 klar als John Fullarton sein geniales „Law of reflux“ kreierte: Die Notenbank kann bei guten und marktmäßigen Sicherheiten den Geldumlauf um keine Einheit höher schrauben als die Marktpräferenz es wünscht. Dass derartige Geldeinsichten im Zeitablauf durch die Naivität eines Hubschraubers abgelöst wurden, spricht nicht unbedingt für unsere heutige Zeit. Nun gab es in der Geschichte dennoch Währungskrisen, die sämtliches Papiergeld vernichtet haben. Das stimmt. Doch hier lag die Ursache darin, dass die Notenbank im Vorfeld Nonvaleurs angekauft hatte. Wenn auf der Aktivseite der Notenbankbilanz keine marktmäßig verwertbaren Titel stehen, deren Einlösung überdies niemand schuldig ist, dann kann das „Lax of reflux“ natürlich auch nicht funktionieren. Hierauf muss man also schauen. Und auf nichts anderes. Was steht auf der Aktivseite der Notenbankbilanz? Und wie viel ist davon auf Dauer angekauft und wie viel nur in Pension genommen? Und dann sollte man die Ohren zumachen. Und den Geldbeutel ebenfalls. Geiz ist geil, und Cash ist Trumpf. Gerade in einer möglichen Krise. Mit den besten Grüßen! Bernd Niquet berndniquet@t-online.de |
Die amerikanische Versuchung
von Dr. Bernd Niquet Am Montag vor einer Woche, abends um zehn Minuten nach sechs, hat sie mich erwischt, die amerikanische Versuchung. Ich weiss, dass die meisten Menschen schon weit frueher in den Bann gezogen wurden, ja dass nicht nur ein ganzer Kontinent von nichts anderem lebt als von der amerikanischen Versu- chung. Doch mich hat es eben - wie eigentlich immer - erst sehr spaet erwischt. Und dann - ebenso wie eigentlich immer - in einem ganz anderen Bereich als bei den meisten. Ich sass zu diesem Zeitpunkt gerade in einem grossen Steak- House und wollte eigentlich ein Bier trinken. Doch diese gaengigen Industriebiere sind mir so zuwider, dass ich ploetzlich Appetit auf Wein bekam. Ich fragte, welcher Rot- wein denn am kraeftigsten sei und bekam einen Cabernet- Sauvignon aus Chile. Was dann folgte, war eine Offenbarung. Ich habe schon viele sehr teure Rotweine getrunken und bin ein halbes Leben lang dem Brombeergeschmack im Wein nachge- jagt. Irgendwie verrueckt fand ich das schon immer. Da kauft man fuer sehr viel Geld Rotwein, um sich dann am Aroma von etwas ganz anderen zu ergoetzen, was man in Reinform sehr viel guenstiger erstehen koennte. Aber trotzdem, dass so etwas in einem natuerlich Gaerprozess entsteht, macht es zu etwas ganz Besonderem und ist gleichsam ein Weltwunder im kleinen Massstab. Ich bekomme also den offenen chilenischen Rotwein fuer fuenf Euro noch etwas das Glas. Schoen dunkel in der Farbe. Ich setze an und erlebe ploetzlich einen so intensiven Geschmack nach Brombeere und Heidelbeere wie er sich selbst im Chateau Petrus nicht findet. Wie kann das sein? In einem vergleichs- weise billigen Wein so eine Delikatesse? Das waere so, als wuerde man das Steak anschneiden und merken, dass unter einer duennen Fleischschicht sich reines Gold verbirgt. Es muessen also Alchemisten am Werk sein. Und sofort erinnere ich mich. Da war das vor kurzem etwas, dass naemlich die EG ab sofort Wein aus den USA importieren muss, dessen Gaerungsprozess kuenstlich gestaltet werden darf. Man darf dort Aromen zusetzen und Enzyme, also den Geschmack durch einen Eingriff von aussen beeinflussen. Und dieser chilenische Wein muss die Vorhut bilden, da bin ich mir ganz sicher. War ich jedoch vorher noch sehr skeptisch gestimmt bezueglich dem, was uns die Amerikaner da wieder vor die Nase setzen, bin ich seit dem Verkosten dieses Weines jedoch voellig anderer Meinung. Jetzt denke ich: Warum uns alles schwerer machen als unbe- dingt noetig? Warum den Gipfel des Geschmacks nur wenigen Reichen zubilligen? Und warum nicht der breiten Masse mit weniger Geld auch? Vielleicht gelingt es bald ja sogar, die Gaensestopfleber naturidentisch herzustellen. Wie viel Leid koennte man damit aus der Welt schaffen. Ich habe jedenfalls erst einmal beherzt zugegriffen, vom Angebot des Steak-Houses Gebrauch gemacht und mehrere Flaschen dieses koestlichen Weines fuer 16 Euro pro zwei Flaschen mitgenommen. Und jetzt ueberlege ich, ob ich nicht auch ansonsten etwas von den Ame- rikanern lernen kann, gegen das ich mich bisher immer gewehrt habe? Zum Beispiel, mir einfach nicht mehr so viele Gedanken zu machen. Lieber an das Heute als an das Morgen zu denken. Schlichtweg nicht mehr immer das Geld zurueckzulegen, sondern einfach viel mehr zu konsumieren. Mir auch ein Haus zu kau- fen, es bis zum Dach mit Schulden zu beleihen und den Gegen- wert bedingungslos zu verknallen. Denn was kostet die Welt? Morgen kann doch schon alles aus sein. |
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